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Die Glut

Die Glut

Titel: Die Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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deine Flucht vorbereitest? ... Nein, es schwiegen alle, sogar Nini - erinnerst du dich an die alte Amme? Sie wusste alles von uns. Ob sie noch lebt? Ja, sie lebt noch, auf ihre Art. Sie lebt wie der Baum da vor dem Fenster, den noch mein Urgroßvater gepflanzt hat. Sie hat ihre Zeit wie alle Lebewesen, ihre Zeit, die sie leben muß. Sie hat es gewusst. Aber auch sie hat nichts gesagt. Ich war in jenen Tagen ganz allein. Und doch wusste ich, dass es der Augenblick war, da die Zeit reif ist, da alles herauskommt, da alles seinen Ort findet, du und ich und alle. Ja, ich hatte es auf der Jagd erfahren«, sagt er, versunken in der Erinnerung und gleichsam sich selbst eine oft gestellte Frage beantwortend. Dann verstummt er.
    »Was hast du auf der Jagd erfahren?«, fragt Konrád.
    »Es war eine schöne Jagd«, sagt der General fast schon mit warmer Stimme, als durchlebe er in Gedanken die Einzelheiten einer lieben Erinnerung. »Die letzte große Jagd in diesem Wald. Damals gab es noch Jäger, richtige Jäger ... Vielleicht gibt es sie heute noch, ich weiß es nicht. Ich selbst habe damals zum letzten Mal in meinem Wald gejagt. Seither kommen nur noch Sonntagsjäger, Gäste, die vom Gutsverwalter empfangen werden und im Wald herumballern. Die echte Jagd, das war etwas anderes. Du kannst das nicht verstehen, denn du warst nie ein Jäger. Für dich war auch das nur eine Pflicht, eine berufs- und standesgemäße Pflicht, so wie das Reiten und das Gesellschaftsleben. Du warst Jäger, aber nur wie jemand, der sich einer gesellschaftlichen Formalität beugt. Du jagtest mit einem verächtlichen Gesichtsausdruck. Und auch das Gewehr trugst du nachlässig wie einen Spazierstock. Du kennst diese sonderbare Leidenschaft nicht, die geheimste Leidenschaft eines Männerlebens, die hinter allen Rollen, Kleidern und Verfeinerungen in einem Mann drinsteckt, so tief wie das ewige Feuer im Erdinnern. Diese Leidenschaft ist die Lust am Töten. Wir sind Menschen, uns ist aufgetragen zu töten. Das muß so sein ... Man tötet, um etwas zu beschützen, man tötet, um etwas zu erhalten, man tötet, um sich für etwas zu rächen. Du lächelst? ... Du lächelst verächtlich? Du warst ein Künstler, in deiner Seele hatten sich diese niedrigen, rohen Instinkte wohl verfeinert? ... Du denkst vielleicht, du hättest nie etwas Lebendiges getötet. Das ist nicht so sicher«, sagt er streng und sachlich. »Das ist jetzt der Abend, an dem es keinen Wert hat, von anderem als vom Wesentlichen und von der Wahrheit zu sprechen, denn dieser Abend hat keine Fortsetzung, und vielleicht kommen nach ihm nicht mehr viele Abende und Tage ... Ich meine, es kommt bestimmt keiner mehr, der noch einen besonderen Sinn hätte. Vielleicht erinnerst du dich, dass auch ich vor langer Zeit einmal im Orient gewesen bin; auf meiner Hochzeitsreise mit Krisztina. Wir bereisten die arabischen Länder, in Bagdad waren wir Gäste einer arabischen Familie. Das sind die vornehmsten Menschen, was du, der Weitgereiste, bestimmt weißt. Ihr Hochmut, ihr Stolz, ihre Haltung, ihre Leidenschaftlichkeit und Ruhe, die Disziplin ihrer Körper und die Selbstsicherheit ihrer Bewegungen, ihre Spiele und das Blitzen ihrer Augen, das alles spiegelt ein altes Standesbewusstsein, eines von der anderen Art, das noch aus der Zeit stammt, da der Mensch im Durcheinander der Schöpfung zum ersten Mal zu seinem hohen Rang erwacht ist. Einer Theorie gemäß ist das Menschengeschlecht in jener Gegend entstanden, zu Beginn der Zeiten, noch vor der Entstehung von Völkern, Stämmen, Kulturen, dort, tief in der arabischen Welt. Vielleicht sind sie deshalb so stolz. Ich weiß es nicht. Ich verstehe nichts davon ... Vom Stolz aber verstehe ich etwas. Und wie man eben ohne äußere Anzeichen spürt, dass der andere gleichen Blutes, gleichen Ranges ist, so spürte ich in jenen Wochen im Orient, dass die Menschen dort vornehm sind, die schmutzigsten Kameltreiber eingerechnet. Wie gesagt, wir wohnten bei Einheimischen, in einem palastartigen Haus; dank der Empfehlung unseres Botschafters waren wir Gäste jener Familie. Diese kühlen, weißen Häuser ... Kennst du sie? Der große Hof, in dem sich das Leben der Familie und des Stammes abspielt, Wochenmarkt, Parlament und Tempelvorhof in einem ... Dieses Schlendern, dieses gierig Spielerische in jeder Bewegung. Dieses würdige, hartnäckige Nichtstun, hinter dem Lebenslust und Leidenschaft lauern wie die Schlange hinter dem reglosen, sonnenbeschienenen Gestein. An einem

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