Die Glut
Abend luden sie uns zu Ehren Gäste ein, arabische Gäste. Bis dahin hatten sie uns mehr oder weniger auf europäische Art bewirtet, der Hausherr war Richter und Schmuggler, einer der wohlhabendsten Männer der Stadt. In den Gästezimmern standen englische Möbel, die Badewanne war aus reinem Silber. An dem Abend aber bekamen wir etwas zu sehen. Die Gäste trafen nach Sonnenuntergang ein, nur Männer, die Herren mit ihren Dienern. In der Mitte des Hofs loderte schon das Feuer, mit dem beißenden Rauch, der aus dem Dung von Kamelen entsteht. Alle ließen sich schweigend darum herum nieder. Krisztina war die einzige Frau unter uns. Dann wurde ein Lamm gebracht, ein weißes Lamm, der Hausherr nahm sein Messer und stach es ab, mit einer Bewegung, die ich nicht vergessen kann ... Eine solche Bewegung lässt sich nicht lernen, es ist eine orientalische Bewegung, aus der Zeit, da das Töten noch eine symbolische und religiöse Bedeutung hatte, als es noch etwas Wesentliches bedeutete, nämlich das Opfer. So erhob Abraham das Messer über Isaak, als er ihn opfern wollte, mit dieser Bewegung wurden in den alten Tempeln die Opfer vor dem Altar, vor dem Götzen oder dem Bildnis der Gottheit getötet, und mit dieser Bewegung wurde Johannes dem Täufer der Kopf abgeschlagen ... Eine uralte Bewegung. Im Orient ist sie jedem Menschen angeboren. Vielleicht begann mit dieser Bewegung das Menschsein, nach dem Zwischenzustand zwischen Mensch und Tier ... Nach gängigem Wissen begann das Menschsein damit, dass man seinen Daumen abwinkeln und also die Waffe oder das Werkzeug packen konnte. Aber vielleicht hat es mit der Seele und nicht mit dem Daumen zu tun; vielleicht, ich weiß es nicht ... Der arabische Herr stach das Lamm ab, und in dem Augenblick war dieser ältere Mann in seinem weißen Burnus, auf den kein einziger Blutstropfen fiel, wie ein orientalischer Hohepriester, der das Opfer vollzieht. Seine Augen leuchteten, einen Moment lang war er verjüngt, und ringsum herrschte Totenstille. Sie saßen um das Feuer, beobachteten die Bewegung des Tötens, das Blitzen des Messers, das Zucken des Lammes, das herausschießende Blut, und allen leuchteten die Augen. Und da habe ich begriffen, dass diese Leute dem Akt des Tötens noch ganz nahe sind, für sie ist Blut ein vertrauter Stoff, und auch das Blitzen des Messers ist etwas Natürliches, wie das Lächeln einer Frau, wie der Regen. Wir verstanden - und ich glaube, auch Krisztina verstand, denn in dem Augenblick war sie merkwürdig ergriffen, sie errötete, wurde dann bleich, atmete schwer und wandte den Kopf ab, als wäre sie Augenzeugin einer leidenschaftlichen Gefühlsszene -, wir verstanden, dass man im Osten die heilige Symbolik des Tötens, aber auch seine geheime, sinnliche Bedeutung noch kennt. Denn diese dunklen, edlen Gesichter lächelten alle, sie schürzten die Lippen und blickten entzückt grinsend vor sich hin, als wäre das Töten eine heiße, angenehme Angelegenheit, wie eine Umarmung. Merkwürdig, dass auf ungarisch das Wort Töten und das Wort Umarmung zusammenklingen und sich gewissermaßen steigern: ölés und ölelés ... Nun ja. Wir sind natürlich westliche Menschen«, sagt er mit anderer Stimme, irgendwie im Ton einer Abhandlung. »Westliche Menschen oder zumindest Einwanderer, die sich hier niedergelassen haben. Für uns ist das Töten eine rechtliche und moralische Frage, oder eine medizinische, jedenfalls eine erlaubte oder verbotene Sache, ein im Rechts- und Moralsystem genau umschriebenes Phänomen. Auch wir töten, aber auf kompliziertere Art; wir töten so, wie es das Gesetz vorschreibt und gestattet. Wir töten, um hohe Prinzipien und wichtige menschliche Werte zu schützen, wir töten, um die Ordnung des menschlichen Zusammenlebens aufrechtzuerhalten. Das kann gar nicht anders sein. Wir sind Christen, wir haben ein Schuldbewusstsein, wir sind das Ergebnis westlicher Bildung. Unsere Geschichte ist bis in unsere Tage voller Massenmorde, vom Töten aber sprechen wir gesenkten Blickes und in bigottem, empörtem Ton; wir können nicht anders, so schreibt es unsere Rolle vor. Nur die Jagd«, sagt er mit einmal fast fröhlich, »auch da halten wir ritterliche und praktische Regeln ein, wir schonen das Wild, soweit es die Situation in einer bestimmten Gegend erfordert, doch die Jagd ist immer noch ein Opfer, ein entstellter, aber noch als Ritus erkennbarer Rest einer uralten religiösen Handlung. Denn es stimmt nicht, dass der Jäger um der Beute willen tötet.
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