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Die Godin

Die Godin

Titel: Die Godin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Hueltner
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auf den ohnmächtig zwischen den zerbrochenen Kisten liegenden Windradi leer. Einer der drei Gendarmen hatte Kropf-Kare bereits die Hände auf den Rücken gedreht und hielt ihn fest. Die beiden anderen, von denen einer im Gehen seinen Säbel in die Scheide schob, gingen auf ihn zu.
    »Bist uns ned bös, gell?« sagte der Ältere gemütlich, »aber eine jede Gaudi muß einmal ein End haben.«
    Er schloß Kajetans Hände auf den Rücken. Es tat weh.
     
     
    Es hat sich kaum etwas verändert, dachte Kajetan verblüfft. Der vertraute Geruch des geölten Eichenparketts in der Altstadtwache löste ein Gefühl ruhiger Sicherheit in ihm aus. Die Beamten führten ihn und Kropf-Kare in eine kleine Zelle hinter dem Wachraum. Den leichten Stoß, den ihm einer der Polizisten gegeben hatte, bevor er das Gitter abschloß, nahm er kaum wahr.
    Nachdenklich ging Kajetan einige Schritte auf und ab. Kropf-Kare hatte sich auf einen Schemel unterhalb des Fensters gesetzt.
    »Hock dich endlich hin«, fauchte er.
    Kajetan wollte ihn beschwichtigen: Die Sache sei zu eindeutig, man würde sie bald wieder freilassen, es mußte so sein.
    »Halts Maul«, flüsterte Kare. In seinen Augen schimmerte Angst. Unruhig verschränkte er seine Finger ineinander.
    Kajetan setzte sich auf die Pritsche.
    Natürlich wußte er, was Kropf ängstigte. Doch nicht einen Augenblick zog er in Erwägung, den Beamten zu helfen und sie über Kropfs Identität aufzuklären. Er war nicht mehr bei der Polizei. Sie hatte ihn entlassen. Und Kropf hatte ihm, vermutlich, das Leben gerettet.
    Soll ich Kropf sagen, überlegte Kajetan, daß es geradezu mit dem Teufel zugehen mußte, wenn sich noch irgend jemand darum kümmern würde, was lange vor dem Krieg und irgendwo im Niederbayerischen geschehen ist? Daß ins Münchner Polizeiarchiv höchstens ein Fahndungsersuchen, das er damals an alle Gendarmeriestationen des Königsreichs geschickt hatte, gelangt war? Daß der Großteil dieses Archivs aber beim Sturm der Roten auf die Polizeidirektion im April 1919 in Flammen aufgegangen war?
    Kare stöhnte auf. »Warum bin ich nicht abgehauen, ich Rindviech«, murmelte er. »Und warum mußt du ausgerechnet mit dem Messer und dem Bierkugel zu raufen anfangen? Alles bloß wegen einer Henn vom Bahnhof, die der blöde Windradi zum Zeug bringt?«
    »Warum, warum.« Kajetan hob die Schultern. »Haben die angefangen oder ich?«
    »Als obs danach ging da herin. Warum bin ich bloß von lauter Deppen umgeben?« Kropf sah verächtlich auf. »Verstehst nicht, gell?«
    Kajetan war beleidigt.
    »Ich sags ja. Lauter…« Kropf ließ die Schultern fallen. »Nichts für ungut. Hast ja recht getan. Aber sag…«, seine Lider verengten sich, »ich mein noch allerweil, daß ich dich kennen müßt. Von irgendwoher. Es will und will mir nicht aus dem Kopf.«
    »Keine Ahnung, wie du da drauf kommst«, log Kajetan, »ich kenn dich jedenfalls nicht. Bin auch eine Zeitlang aus der Stadt fortgewesen.«
    Kropfs dichte Augenbrauen hoben sich.
    »Weggewesen? Bist epper einmal… zur See gefahren?«
    Kajetan lachte leise. »Geträumt hab ich hie und da davon.«
    »Geträumt…«, sagte Kropf nachdenklich.
    »Und du?« Kajetan beugte sich interessiert vor. Kropf-Kare war damals wie vom Erdboden verschwunden. Aus keiner der von ihm informierten und um Nachforschung angesuchten Gendarmeriestationen war je eine Meldung über den Verbleib des Totschlägers gekommen. Die Suche war schließlich eingestellt worden.
    »Ob ich einmal zur See gefahren bin, möchst wissen?«
    Kajetan bejahte.
    »Wüßt nicht, was dich das angeht.«
    Doch dann erzählte Kare. Nach einem gewissen Geschehnis, worüber er jedoch nicht sprechen wollte, sei er zu Fuß zur Grenze marschiert, hätte sich über die Bregenzer Berge ins Ausland geschlichen und halbverhungert im Hafen von Marseille wiedergefunden. Mit einem der Rattenkästen, die von ihren Eignern längst abgeschrieben waren und die nur noch ausliefen, um eine hohe Versicherungsprämie zu erlösen, sei er - prompt sei der Kahn im karibischem Meer in Seenot geraten - in Costa Rica gelandet. Nach Kriegsausbruch habe man ihn dort internieren wollen; dem hätte er sich aber in einer abgeschiedenen Kolonie an der Grenze zu Nicaragua entziehen können. In diesem Dschungelnest sei er schließlich schwer erkrankt; zu Hunger, Hitze und Stechmücken, zu Würmern, die in den Därmen schmatzten und wie fette Bindfäden aus der brandigen, knotig erhöhten Haut herausgezogen werden mußten, sei ein

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