Die Godin
schmunzelte. Dann wurde er ernst. »Es ist so: Es gibt grad wieder einen Krieg. Zwischen dem Kaiser und dem Urban. Der Kaiser hat den Strich an der Frauen- und der Müllerstraße, der Urban den Bahnhof. Das liegt nah beinander, die Grenze ist der Sendlinger-Tor-Platz. Und da gibts immer wieder Reibereien. Und grad jetzt besonders viele. Zwei Huren vom Kaiser liegen schon im Spital. Ein Zuhälter vom Urban ist verschwunden. Dafür ist am Föhringer Wehr was angeschwemmt worden, was wie ein gewesener Mensch ausgeschaut hat. Verstehens mich? Vielleicht haben die Kollegen deswegen ein bisserl…«
»Das haben sie allerdings.«
»Die Sie da gestern nacht aufgemischt haben, waren nämlich Leut vom Kaiser. Das müssens schon verstehen, wenn die Kollegen da nervös sind.«
»Das muß ich gar nicht. Genauer gesagt: Ich weigere mich, es zu verstehen.«
Zunhammer hob die Schultern und sah zur Seite. »Was anderes fällt mir nicht ein, wenn ich seh, wie Sie zugerichtet sind. Vielleicht haben Sie auch, seit Sie nicht mehr Polizist sind, den verkehrten Umgang?«
»Kann schon sein. Aber ich hab eher das Gefühl…«
Unwillkürlich reagierte Zunhammer wie in früheren Zeiten.
»Jetzt wirds interessant!« stieß er neugierig hervor.
»… Ich hab eher das Gefühl, daß die Beamten der Nachtschicht den falschen Umgang haben.«
»Das ist ja allerhand! Wie ist das gemeint?«
»Na, mir fällt bloß auf, daß ich und der Kropf-Kare die Nacht da herinn sind und nicht grad höflich behandelt werden. Die vom anderen, vom Kaiser, aber nicht. Ich will nichts gesagt haben. Das ist nur so ein Gefühl.«
»Alles was recht ist«, antwortete der junge Beamte verärgert.
»Depperter Satz.«
»Für Sie vielleicht. Und jetzt, Herr Kajetan, bei allem früheren Respekt, jetzt gehns besser.«
»Du unternimmst also nichts? Thadädl!«
»Das müssens schon mir überlassen«, sagte er verstimmt. »Und ein letztes Mal: Den Thadädl gibts nicht mehr.«
»Dann sag mir bloß noch, was mit dem Kare geschehen wird.«
»Mit dem Dorfner Karl?« Kajetan nickte beklommen.
»Was wohl. Er ist schon nach Stadelheim geschoben worden. Was ich gehört hab, glaub ich nimmer, daß der so schnell wieder rauskommt«, stellte Zunhammer nüchtern fest und wollte sich zum Gehen wenden. Kajetan hielt ihn bestürzt fest.
»Wie…«, er schluckte, »wie ist man ihm draufgekommen? Das Archiv ist doch seinerzeit verbrannt?«
Zunhammer sah tadelnd auf seinen Ärmel. Kajetan zog seine Hand zurück. »Stimmt. Aber gleich nach der roten Gaudi ist damit angefangen worden, es wiederherzustellen. Vor drei Wochen ist man endlich soweit gewesen. Außerdem, und das könnens ja nicht mehr wissen, gibts neuerdings einen eigenen Polizeifunk. Der ist Tag und Nacht besetzt, und an den sind schon fast alle Stationen der Landpolizei angeschlossen.«
»Auch die Landshuter…?«
»Schon lang.« Der junge Polizist nickte ungeduldig. »Die Kollegen dort haben von irgendwoher einen Hinweis bekommen, die Akten von vor dem Krieg durchgeschaut und die Suchmeldung nach München gefunkt. Woher Wissens überhaupt, daß das in Landshut gewesen ist?«
»Die Akten von vor dem Krieg…«, wiederholte Kajetan entsetzt.
Zunhammer sah ihn verständnislos an. »Wenn Sie gestern auf Nacht nicht so einen Zirkus gemacht hätten, hätt bestimmt keiner nachgesehen.« Kajetan öffnete den Mund.
»Ich hab jetzt zu tun!« sagte der junge Polizist. Brüsk wandte er sich um und zeigte zur Tür. »Da gehts naus.« Kajetan verließ die Wache. Einige Schritte gelangen ihm.
Ein Passant, der hinter ihm gegangen war und beinahe auf ihn geprallt wäre, überholte ihn schimpfend und eilte kopfschüttelnd weiter. Kajetan hatte die Hände vor sein Gesicht geschlagen. Die wenigen Schritte von der Rumfordstraße zur Isarbrücke, die ein nicht allzu schnell gehender Fußgänger in kaum mehr als fünf Minuten erreichen konnte, schienen ihm endlos.
Er stieg die Ufertreppe hinab und betrat die schmale Kiesbank, an der der schlammbraune Fluß kraftvoll vorüberströmte. Kajetan kniete sich auf die Steine, schöpfte Wasser mit der Hand und versuchte, sich zu waschen. Dann richtete er sich wieder auf. Das Geräusch des Flusses schien schwächer geworden zu sein. Im Ufergeäst zwitscherten Vögel. Eine milchrote Fläche begann, den Horizont zu fluten. Der junge Tag roch wie eine herrliche, frisch aufgeschnittene Frucht.
Kajetan krümmte sich. Er öffnete den Mund, würgte und erbrach sich.
Auf dem Rückweg hatte
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