Die Godin
Tisch in der Nähe der Schanktheke.
Der Raum war fast leer. In seinem hinteren Teil saßen einige Männer, deren Gesicht im Dämmerlicht nicht zu erkennen war.
Eine großgewachsene Frau, deren Alter irgendwo zwischen fünfzig und sechzig Jahren liegen mochte, kam an Kajetans Tisch und wischte sich die Hände an der Schürze. Sie warf einen Blick auf seinen Koffer. »Stadelheim?«
Kajetan nickte arm. Sie verschwand und kam nach wenigen Minuten mit einem Teller dampfender Suppe zurück. Sie roch köstlich. Kajetan lächelte dankbar und griff gierig nach dem Löffel. Er hatte ihn noch nicht zum Mund geführt, als er gestört wurde.
»Ja! Da schau her!« krächzte es aus dem Dunkel.
Kajetan sah ahnungsvoll auf. Der Mann, dem diese Stimme gehörte, wankte mit höhnischem Grinsen auf ihn zu und stützte sich vor ihm auf den Tisch.
»Der Herr Inspektor! Samma entlassen, ha? Herr Inspektor! Haha! Kennens mich nimmer?«
»Laß mich’ in Ruh«, entgegnete Kajetan müde. »Ich bin kein…«
»Jetzt kennt er mich nimmer, der Herr Inspektor! Allerweil stolz, ha? Ich bins! Der Hölzl, den wo Er damals angezeigt hat!«
Die Wirtin hatte aufgehorcht und kam argwöhnisch näher.
»Was sagst, alter Saufbruder? Einen Inspektor nennst du den?« Sie musterte Kajetan mit einem mißtrauischen Blick.
»Stimmt gar nicht«, sagte Kajetan hilflos. Noch immer hielt er den Suppenlöffel in der Hand.
»Der Herr Inspektor! Hahaha! Ha?« kreischte Hölzl außer sich vor Vergnügen und schlug auf den Tisch. Die Wirtin baute sich vor Kajetan auf. »Was is? Bist entlassen worden oder ned?« fragte sie drohend.
Kajetan nickte gepeinigt.
»Und von wo?« dröhnte sie plötzlich. »Tu einmal den Schein raus!«
»Den… den hab ich nicht…«
»Des ist doch selber ein Wachtel!« schrie Hölzl höhnisch. »Des is der Inschpekta Kajetan! Der wo mi seinerzeit angezeigt hat! Aber…«, er schlug sich stolz auf die Brust, »… er hat ihn ned erwischt, den Hölzl!« Die Wirtin sandte einen scharfen Blick zu Hölzl, dann zu Kajetan.
»Ah so ist des«, sagte sie nüchtern, wand ihm den Löffel aus der Hand und zog den Teller vom Tisch.
»Ausse«, sagte sie knapp, und Kajetan hörte am Klang ihrer Stimme, daß er keine Sekunde mehr vertrödeln durfte. Die anderen Besucher hatten sich bereits erhoben. Er floh rumpelnd und stürzte in den Wolkenbruch, der kurz zuvor begonnen hatte.
Seine Laune besserte sich erst, als ihm Brettschneider mit sonderbarem Gesichtsausdruck einen Briefumschlag übergab, den ein Bote, »in einem nagelneuen >Selve<«, wie der Pensionsbesitzer anerkennend hinzufügte, abgeliefert hatte.
Kajetan werde gebraucht, stand geschrieben, man erwarte ihn übermorgen um sechs Uhr abends in Urbans Büro über dem Variete.
Es kam selten vor, daß der Leiter des Ödstädter Zuchthauses zusätzliche Kontrollgänge anordnete. Das Los, den Gefangenen in Zelle Achtzehn ein weiteres Mal aufzusuchen, war auf Bletz gefallen. Mürrisch hatte der Aufseher sich gefügt und um Mitternacht den Wachraum verlassen - nicht ohne zu bemerken, daß er dem Gefangenen, der dem Anstaltsgeistlichen gegenüber Selbstmordabsichten geäußert haben sollte, keine Träne nachweinen würde, wenn dessen Absicht gelänge.
Eine geraume Zeit war seither vergangen. Aufseher Wimmer mischte das zweite Spiel.
»Sollen wir auf den Bletz warten?« Er sah zur Uhr. »Heute scheint er’s ja besonders akkurat zu nehmen.«
Feichtl war seinem Blick gefolgt. Er überlegte.
»Hast recht. Aber wenn was gewesen war mit dem auf Achtzehn, hätt er uns längst gerufen.«
Wimmer kam nicht mehr dazu, eine Antwort zu geben. Das Licht erlosch. Im selben Augenblick erschütterte eine Detonation das Gebäude. Die beiden Aufseher, die nach einer Sekunde der Erstarrung aufgesprungen waren, suchten den Ausgang, stolperten über die umgefallenen Stühle und fielen zu Boden. Wimmer winselte in hysterischem Diskant. Aus dem Zellentrakt drang Gebrüll.
»Es muß drüben sein!« keuchte Feichtl. »Wo ist die Lampe? Kruzifix noch einmal! Wimmer!«
Die Feuersirene heulte auf. Der Brandgeruch verstärkte sich. Rosafarbener Schein erhellte nun das Wärterzimmer. Feichtl tappte nach der Tür und riß sie auf. Erleichtert sah er, daß sich auf dem Flur schwankende Lichter näherten. Der Rauch nahm zu.
»Da her!« brüllte Feichtl. Er spürte, wie er von hinten angestoßen wurde. Ein Uniformierter rannte taumelnd an ihm vorbei.
»Bletz!« schrie Feichtl und hustete bellend. »Was is
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