Die Götter - Die Macht der Dunkelheit - Grimbert, P: Götter - Die Macht der Dunkelheit - Les Gardiens de Ji, Tome 3: Le deuil écarlate
und Wirklichkeit unterscheiden. So schreckte sie mehrmals schreiend hoch oder wälzte sich wimmernd auf ihrem Lager, bis sie von Zejabel oder Najel geweckt wurde. Zwar war Lorilis so erschöpft von den Anstrengungen des Tages, dass sie jedes Mal sofort wieder einschlief, aber trotzdem kam sie bis zum Morgengrauen nicht zur Ruhe. Lorilis entschuldigte sich bei ihren Gefährten, aber sie konnte ja nichts dafür und niemand machte ihr Vorwürfe – im Gegenteil: Alle hatten ein schlechtes Gewissen, weil das Mädchen von seinen magischen Kräften Gebrauch gemacht hatte, um ihnen zu helfen. Am Morgen nahm Zejabel allen das Versprechen ab, Lorilis nicht mehr darum zu bitten.
Die Zeit auf dem Kutter ging zu Ende. Später am Morgen, zu Anfang des dritten Dekants, erreichte das Schiff seinen Heimathafen. Die Gefährten dankten dem Schifferehepaar für die Reise, die ohne Zwischenfälle verlaufen war, und zahlten den vereinbarten Preis. Dann gingen sie von Bord, Säcke und Bündel geschultert und die Waffen am Gürtel.
Sie verweilten nicht lange in der kleinen Stadt. Ihre Vorräte waren kaum angebrochen, und sie hatten sich dagegen entschieden, Pferde zu kaufen. Auf schmalen, steilen Gebirgswegen wären die Tiere eher eine Last als eine Hilfe. Ein Esel oder Maultier wäre ihnen vielleicht von Nutzen gewesen, aber Damián fürchtete, dass sie dann langsamer vorankämen. Außerdem wäre das Hufgeklapper eines Lasttiers in den Bergen weithin zu hören, und die Erben wollten möglichst nicht auffallen. Und was, wenn sie sich vor ihren Feinden verstecken mussten? Einem Esel konnte man nur schlecht verständlich machen, dass er keinen Laut von sich geben durfte …
So schlugen sie zu Fuß den Weg ein, der durch die Ebene auf das Gebirge zuführte. Dort angekommen, würden sie sich nach Süden wenden und am Rand des Massivs entlangmarschieren, bis sie den Gebirgszug erreichten, in dem Damián das Dara vermutete. Auf dem Weg wollten sie nach Spuren der Etheker Ausschau halten, zum Beispiel nach Inschriften im Fels. Große Hoffnungen machten sie sich zwar nicht, da seit dem Untergang des ethekischen Volkes viele Jahrhunderte vergangen waren, aber sie durften keine Möglichkeit außer Acht lassen. Jedes noch so verwitterte in den Stein geritzte Zeichen konnte einen Hinweis darauf geben, wo sich das Dara befand.
Und eine weitere Schwierigkeit kam auf sie zu: Selbst wenn sich Damián nicht irrte und sie den Gebirgszug fanden, in dem das Dara lag, mussten sie die Berge immer noch erklimmen. Eine halsbrecherische Kletterpartie schlossen sie von vornherein aus: Dafür hatten sie weder die richtige Ausrüstung noch verfügten sie über die nötigen Fähigkeiten. Ganz davon abgesehen, dass Damián schreckliche Höhenangst hatte …
So mussten sie sich auf die uralten Legenden verlassen, die Amanón zusammengetragen hatte. Sie erzählten von Schäfern oder Wanderern, die zufällig auf einen rätselhaften Ort gestoßen waren, der von Kindern oder monströsen Kreaturen bevölkert war. Niemandem war es je gelungen, den Ort wiederzufinden, aber die Geschichten ließen die Erben hoffen, dass es möglich war, ihn zu Fuß zu erreichen.
Vorausgesetzt, das Jal existierte noch.
Sie erreichten den Fuß des Massivs wesentlich schneller, als Josion gedacht hatte. Natürlich konnten Entfernungen im Gebirge täuschen; für gewöhnlich kamen einem die Berge jedoch viel näher vor, als sie es tatsächlich waren. Diesmal war es genau andersherum.
Die Erben konnten es kaum erwarten, mit der Suche zu beginnen, und da sie sich auf dem Kutter gut ausgeruht hatten, marschierten sie zügig am Fuß der Berge entlang. Gegen Mit-Tag legten sie eine kurze Rast ein und nahmen ein wohlverdientes Mahl zu sich. Da sie keine Zeit zu verlieren hatten, gab Damián schon bald wieder das Zeichen zum Aufbruch, und sie zogen weiter nach Süden.
» Sind alle sicher, dass wir die richtige Entscheidung getroffen haben?«, vergewisserte sich Damián ein letztes Mal.
» Ja!«, antwortete Zejabel für alle.
Josion war nicht ganz so zuversichtlich wie seine Mutter. Er schätzte den Scharfsinn und die Weisheit seines Cousins, aber wie sollten ihm angesichts der Höhe der Berge keine Bedenken kommen? Mehrere der schroffen Felsgipfel verschwanden in den Wolken, und die Hänge waren größtenteils so steil, dass sie ein unüberwindliches Hindernis darstellten. Nicht ohne Grund galt der Rideau als unbezwingbar. Er teilte die bekannte Welt in zwei Hälften: die Oberen Königreiche und
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