Die Götter - Ruf der Krieger - Grimbert, P: Götter - Ruf der Krieger - Les Gardiens de Ji, Tome 1: La volonté du démon
Angst«, gestand Lorilis. »Nach dem Kampf war mir ziemlich schwindelig, aber heute geht es mir schon viel besser. Am liebsten würde ich das alles vergessen. Und Josion hat auch kein Wort darüber verloren.«
Najel reckte den Hals, um einen Blick auf den Lorelier zu werfen, der vorweg ritt. In der Tat hatte er den anderen nicht erzählt, dass der Hexer ihn gefoltert hatte. Aus falschem Stolz? Aus Nachlässigkeit? Oder hatte er etwas zu verbergen?
Najel, Lorilis und Josion hatten einander das Leben gerettet, und doch hatten sie seither nicht über den Vorfall gesprochen. Trug Josion ein Geheimnis mit sich herum, oder versuchte er ganz einfach, eine schmerzhafte Erinnerung aus seinem Gedächtnis zu verbannen – so wie Lorilis?
»Ich muss Maara davon erzählen«, sagte Najel vorsichtig. »Meine Schwester hasst es, wenn man ihr etwas verheimlicht. «
»Tu das nicht«, bat Lorilis. »Ich will nicht, dass die anderen mich für seltsam halten. Es ist vorbei und gehört der Vergangenheit an!«
»Eigentlich hätte ich ihr schon gestern davon erzählen müssen«, murmelte Najel mit einem entschuldigenden Blick.
Er wollte Lorilis keinen Kummer bereiten, aber er hatte keine Wahl. Nur aus einem einzigen Grund hatte er bisher geschwiegen: Maara hatte ihn nicht gefragt, wie es ihm während des Kampfes ergangen war. Die Gleichgültigkeit seiner großen Schwester kränkte ihn, aber wenn er weiterhin den Mund hielt, kam das einem Verrat gleich.
»Sie wird es sicher nicht herumerzählen«, fügte er hinzu, ohne so recht daran zu glauben. »Ich muss ihr sagen, was geschehen ist.«
»Warte noch ein bisschen. Bis wir auf der Burg sind, ja? Dann bleibt mir etwas Zeit, über alles nachzudenken. Es ist so verwirrend.«
Najel lächelte ihr aufmunternd zu. Ihm war klar, dass sie nur Zeit schinden wollte, aber ihr verängstigter Gesichtsausdruck berührte ihn tief. Außerdem war er sicher, dass er ihre Freundschaft für immer verlieren würde, wenn er ihre Bitte ablehnte.
»Einverstanden«, sagte er nach kurzem Überlegen. »Sollte mir meine Schwester Fragen stelle, behaupte ich einfach, mich an nichts zu erinnern. Aber lange kann ich diese Lüge nicht aufrechterhalten. Irgendwann müssen wir den anderen von dem Hexer erzählen.«
Lorilis nickte und warf ihm einen erleichterten, wenn auch unendlich traurigen Blick zu. Najel fühlte sich elend und schämte sich in Grund und Boden. Lorilis’ Nöte erinnerten ihn nur zu gut an seine eigenen. Immer, wenn er an seine Mutter dachte, wurde ihm schwer ums Herz. Er hatte sie nicht gekannt, aber Maara und Ke’b’ree vermissten sie schmerzlich.
Es war nicht seine Absicht gewesen, Lorilis Kummer zu bereiten. Im Gegenteil, er hatte gehofft, ihr durch das Gespräch
näherzukommen. Najel seufzte und wünschte, er hätte Lorilis unter anderen Umständen kennengelernt.
Einen halben Dekant, nachdem sie Benelia verlassen hatten, erreichten sie die Gisle an einer Stelle, wo ein Fährkahn Reisende ans andere Ufer brachte. Zwischen Benelia, der einstigen Hauptstadt des Königreichs, und dem Fürstentum Semilia im Norden gab es überall entlang des Flusses solche Anlegestellen. Damián und seine Gefährten hatten die Fähren in der Nähe der Stadt gemieden, weil sie nicht erkannt werden wollten, und waren ein ganzes Stück flussaufwärts geritten. Vielleicht war diese Vorsichtsmaßnahme übertrieben, aber Damián nahm gern in Kauf, dass sie ein paar Dezimen länger unterwegs waren, wenn sie so eine böse Überraschung vermieden. Der Kampf in dem Lagerschuppen beherrschte seine Gedanken, und er hatte nicht vor, sich abermals von ihren Feinden überrumpeln zu lassen.
Sie mussten nicht lange warten: Kaum hatten sie abgesessen, näherte sich die Fähre, und wenige Dezillen später konnten sie an Bord gehen. Verglichen mit den riesigen Schiffen, die den Fluss im Süden überquerten, war der Kahn klein, doch er bot genügend Platz für sieben Menschen und Pferde. Die drei Fährmänner kassierten den Preis für die Überfahrt und warteten noch eine Dezime auf mögliche weitere Passagiere. Dann gaben sie das Signal zum Aufbruch und schoben den Kahn mit langen Staken zur Flussmitte.
Sie nutzten die Überfahrt, um sich die Beine zu vertreten oder sich an die Reling zu lehnen und die Landschaft
zu betrachten. Die Gisle war der erste von zwei Flüssen, die sie überqueren mussten. Der andere, die Velanese, war wesentlich breiter und befahrener.
Sodann würde sich die kleine Schar nach Nordosten wenden.
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