Die Götter - Ruf der Krieger - Grimbert, P: Götter - Ruf der Krieger - Les Gardiens de Ji, Tome 1: La volonté du démon
waren Najel und Maara so verschieden wie Tag und Nacht. Najel war viel umgänglicher, und Lorilis wagte sich kaum vorzustellen, wie es war, wenn Maara ernsthaft wütend wurde.
Einige Dezillen später betraten die Gefährten die Herberge zur Fähre. Josion begleitete die beiden Stallburschen, die die Pferde in Empfang nahmen, während die anderen
die Schänke betraten und sich an einen grob gezimmerten Tisch setzten. Lorilis ließ den Blick durch den riesigen Saal mit der niedrigen Decke schweifen, in dem gut dreißig Gäste aßen, tranken und sich unterhielten. Eine ganze Wand verschwand hinter einem Stapel Holzscheite, und in dem offenen Kamin tanzten vier Fuß hohe Flammen. Verschiedene Gänge und Treppen führten zur Küche, zum Keller, zu den Zimmern im ersten Stock und zu den Nebengebäuden. Es war schwierig zu sagen, wie alt das Wirtshaus war, aber einige Jahrzehnte hatte es sicher auf dem Buckel. Wie viele Reisende mochten hier im Laufe der Jahre haltgemacht haben? Wie viele Geständnisse waren an diesem Tisch abgelegt worden, wie viele Geheimnisse enthüllt?
Lorilis träumte vor sich hin, als plötzlich eine Ahnung in ihr aufstieg. Sie legte die Hand auf das verwitterte Holz der Tischplatte, und die Ahnung wurde zur Gewissheit: Vor knapp einem halben Jahrhundert hatten ihre Großeltern Yan und Léti an genau diesem Tisch gesessen. Völlig verstört hörte sie kaum, wie Damián und Maara für alle Essen bestellten. Wie konnte sie von etwas wissen, das so lange her war und von dem ihr niemand erzählt hatte? Verlor sie allmählich den Verstand?
Die Erleichterung, die sich im Laufe des Tages eingestellt hatte, war nur noch eine ferne Erinnerung. So schwer es ihr auch fiel, Lorilis musste sich der Wahrheit stellen: Die Entwicklung, die sie durchmachte, war noch nicht zu Ende, und sie reichte sehr viel weiter, als sie gedacht hatte.
Nach den Erlebnissen der vergangenen Tage war offenbar niemand am Tisch zum Scherzen aufgelegt, schon gar nicht Guederic, der sonst immer den Spaßvogel spielte. Er hoffte, bald wieder sorglos in den Tag hineinleben zu können, aber so recht glaubte er nicht daran. Etwas in ihm war endgültig zerbrochen. Er kaute auf seinem Essen herum, ohne viel zu schmecken, und warf seinen Schicksalsgefährten düstere Blicke zu.
Einige der anderen bemühten sich, ein Gespräch in Gang zu bringen, aber wie sollte man sich für eine Plauderei über lokale Spezialitäten begeistern, wenn man nicht wusste, was der nächste Tag bereithielt? Wie über das Wetter sprechen, wenn sich alle Sorgen um ihre Eltern machten? Jeder Versuch, eine Unterhaltung zu beginnen, war von vornherein zum Scheitern verurteilt, und bald verstummte einer nach dem anderen. Die Gefährten waren einfach zu bekümmert, um Belanglosigkeiten auszutauschen. Um sie aus ihrer Starre zu wecken, brauchte es ein ernsthafteres Thema, eines, das sie ohnehin alle beschäftigte.
»Keiner der Gäste scheint von Unruhen im Land zu sprechen«, brach Souanne schließlich das Schweigen. »Ich hätte gedacht, dass vielleicht Gerüchte von einem Staatsstreich oder einem Aufstand die Runde machen.«
Obwohl sie absichtlich einen abseits stehenden Tisch gewählt hatten und Souanne die Stimme gesenkt hatte, bedeutete Damián den anderen, möglichst leise zu sprechen und auch sonst kein Aufsehen zu erregen.
»Der Gedanke ist mir auch schon gekommen«, murmelte Damián. »Wenn unsere Vermutungen stimmen, stehen die Männer, die sich gegen unsere Familien verschworen
haben, in irgendeiner Verbindung zu Königin Agénor. Es könnte ihr Ziel sein, den König zu stürzen und die Macht in Agénors Namen an sich zu reißen. Aber da sie offenbar im Verborgenen wirken, ist zu befürchten, dass die Lorelier erst davon erfahren, wenn es zu spät ist.«
»Aber was nützt es ihnen, unsere Väter zu töten, wenn sie den lorelischen Thron besteigen wollen?«, widersprach Maara. »Ich gehe eher von einem Rachefeldzug aus.«
»Fast fünfundzwanzig Jahre nach dem Sturz von Königin Agénor?«, fragte Guederic skeptisch. »Das halte ich für unwahrscheinlich.«
»Warum nicht?«, meinte Damián. »Wir wissen, dass Agénor mit mehreren Sekten im Bund stand, deren Anhänger Dämonen anbeteten. Vielleicht versuchen unsere Feinde, eine dieser Sekten wiederzubeleben. Denkt nur an die seltsamen Symbole, die unsere Angreifer auf der Stirn hatten.«
»Es muss nicht zwangsläufig ein religiöses Symbol gewesen sein«, entgegnete Guederic. »In Lorelia schließen sich
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