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Die Göttin der kleinen Siege

Die Göttin der kleinen Siege

Titel: Die Göttin der kleinen Siege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yannick Grannec
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pickeliger Jugendlicher, Kurtele.“
    „In diesem Fall würde ich lieber über deine Brüste sprechen. Entschuldige – über deinen üppigen Busen.“
    „Liebst du meinen Busen?“
    Er strich sein Hemd glatt. Ich hatte ihm keine Zeit gelassen, seine Kleider zu falten und über einen Stuhl zu hängen, wie es sonst seine lästige Angewohnheit war.
    „Ich liebe dich.“
    „Du lügst. Alle Männer sind Lügner.“
    „Alles hängt davon ab, wer was behauptet. Ist das eine Lektion deiner Mutter oder deines Vaters? Syllogismus oder Sophismus?“
    „Ich verstehe nur Bahnhof, Herr Doktorand.“
    „Wenn dein Vater das gesagt hat, kannst du keinesfalls feststellen, ob er gelogen hat oder nicht. Wenn es deine Mutter war, ist die Wahrheit kontingent mit ihren Erfahrungen mit Männern.“
    „Allein der gesunde Menschenverstand sagt uns, dass die Erziehung von Mädchen auf der Lüge gründet. Du musst deine teuflische Logik also nicht an mir ausprobieren. Du hast ein Herz aus Stein, du bist nur ein Mann!“
    „ Argumentum ad hominem , wie man in der Rhetorik sagt, wenn eine These des Redners durch einen persönlichen Angriff auf ihn angefochten wird. Deine Logik ist ungeeignet, deine Moral ungerecht. Wenn ich so niedere Argumente vorbringen würde, stünde ich als grässlicher Rüpel da.“
    „Dann gib noch Kohle in den Ofen.“
    Kurt beäugte das Ding misstrauisch, er hasste diese Aufgabe. Er riss das Fenster weit auf.
    „Was tust du da? Es ist saukalt!“
    „Ich ersticke. Hier drin ist schlechte Luft.“
    „Wegen dir sterbe ich an einer Lungenentzündung. Komm!!“
    Er ließ sein Hemd liegen und legte sich neben mich. Wir versteckten uns unter der Decke. Er streichelte meine Wange.
    „Ich mag dein Feuermal.“
    Ich packte seine Hand.
    „Da bist du aber der Einzige!“
    Mit zwei Fingern zeichnete er eine liegende Acht zwischen meine Brüste.
    „Ich habe eine sehr interessante Geschichte über solche Male gelesen.“
    Ich knabberte an seiner Hand.
    „Nach einer chinesischen Sage gehen Geburtsmale auf ein früheres Leben zurück. Ich habe dich demnach in einem früheren Leben gezeichnet, damit ich dich in diesem Leben wiederfinde.“
    „Anders gesagt: Ich habe dich schon in einem früheren Leben ertragen und bin dazu verdammt, dich in allen anderen ertragen zu müssen?“
    „Zu diesem Schluss komme ich auch.“
    „Und woran werde ich dich wiedererkennen?“
    „Ich werde immer die Fenster offen haben, auch im Winter.“
    „Da müsste ich viele Fenster prüfen! Es wäre vernünftiger, wenn auch ich meine Spur an dir hinterlassen würde.“
    Ich biss ihn, dieses Mal richtig. Er schrie auf.
    „Schmerz vergisst man nie, Kurtele.“
    „Du bist ja verrückt, Adele!“
    „Wer von uns beiden ist der Verrücktere? Sieh nur, wie du mich entstellt hast! Ich hoffe nur, dass das erst im letzten Leben passiert ist. Ich kann mich nicht erinnern, seit Anbeginn der Zeiten so rumgelaufen zu sein.“
    Meine Hände entschuldigten sich für den Biss. Ich spürte, wie er sich entspannte.
    „Schläfst du?“
    „Ich denke nach. Ich muss arbeiten gehen.“
    „Schon?“
    „Ich habe ein Geschenk für dich.“
    Aus seiner Aktentasche, die er unters Bett geschoben hatte, holte er zwei rote, glänzende Äpfel hervor. In den einen hatte er mit dem Messer die Zahl 220 geritzt, in den anderen 284.
    „Ist das jeweils die Anzahl unserer früheren Leben? Einer von uns beiden ist vorausgeeilt.“
    „Ich esse die 220, du die 284.“
    „Immer wählst du das Leichtere.“
    „Sei mal kurz still, Adele. Das hier ist ein arabischer Brauch. 220 und 284 sind verwandte Zahlen, wundervolle Zahlen. Die Divisoren von 284 sind 1, 2, 4, 71 und 142. Deren Summe wiederum ergibt 220. Die Divisoren von …“
    „Es reicht, das ist zu viel der Romantik, mein kleiner Frosch, ich werde den Verstand verlieren!“
    „Unter der Zahl 10,000.000 kennt man nur 42 solcher Paare.“
    „Hör auf, hab’ ich gesagt!“
    „Man kann nicht beweisen, ob ihre Anzahl unendlich ist. Man hat noch nie ein Paar aus einer geraden und einer ungeraden Zahl gefunden.“
    Ich stopfte ihm den Apfel in den Mund. Als ich in meinen Apfel biss, sehnte ich mich bereits nach diesem Augenblick zurück, nach dem, was wir nicht mehr sein würden: süße, dumme Kinder, denen alles fremd war außer sie selbst. Es war das kostbarste Geschenk, das Kurt mir je gemacht hat. Ich habe die Apfelkerne in einer Bonbondose des Cafés Demel aufbewahrt.
     
    In unserer ersten Nacht ein paar Monate

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