Die Göttin der kleinen Siege

lieber Gödel. Nur Spott kann gegen die Absurdität ankämpfen. Ach, apropos schreckliche Witze – kennen Sie den? Drei Wissenschaftler werden in ihrem Nuklearlabor verstrahlt. Sie sind dem Tode geweiht. Man will ihnen ihre letzten Wünsche erfüllen. Der Franzose will mit Marilyn Monroe zu Abend essen, der Engländer will die Königin treffen, der Jude …, nun, er will einen anderen Arzt konsultieren.“
    Wir lachten aus Höflichkeit. Albert hatte ein besonderes Talent für beißenden Witz.
    „Dieser Zynismus passt nicht zu Ihnen, Herr Einstein. Ich betrachte Sie lieber als Verkörperung der Weisheit.“
    „Ich fürchte, die Nachwelt wird mich eher als den Hurensohn sehen, der die Bombe erfunden hat. 15 Entschuldigung, Adele.“
    „Machen Sie sich deswegen keinen Kopf. Ich könnte sogar einen New Yorker Taxifahrer zum Erröten bringen.“
    Der ältere Herr zupfte an seinem Ohrläppchen herum. Zu meiner großen Überraschung tätschelte mein Mann ihm in einem Anfall von Zuneigung die Schulter.
    „Niemand gibt Ihnen eine derartige Schuld, Herr Professor. Sie sind nicht allein für Hiroshima verantwortlich.“
    „Das bezweifle ich. Ich habe diese Gleichung aufgestellt, E = mc 2 , ohne zu bedenken, dass sie dreißig Jahre später – bumm! – zum Tod Zehntausender Menschen in einem bereits gewonnenen Krieg beitragen würde. Der technische Fortschritt ist wie ein Beil, das man einem Psychopathen in die Hände gegeben hat.“
    „Es gibt doch auch niemand Newton die Schuld dafür, dass er die Schwerkraft definiert hat. Dennoch bestimmt sie die Bahn des Beils.“
    „Nehmen Sie es nicht krumm, Gödel, aber manchmal frage ich mich, ob wir in derselben Welt leben. Halten Sie mich denn für eine Art Gepetto, den Schöpfer von Pinocchio?“
    „So naiv bin ich nicht, dennoch gestehe ich, dass ich Zeichentrickfilme sehr mag.“
    „Sie sind ein wandelndes Paradoxon, mein Freund. Wie können Sie von Leibniz auf Walt Disney umschalten, ohne zu schaudern?“
    „Ich sehe darin keinen Widerspruch. Beim einen erhole ich mich vom anderen.“
    „ Schneewittchen und die sieben Zwerge haben wir mindestens fünfmal gesehen.“
    „Welcher Zwerg ist denn Ihr Mann? Pimpel? Chef?“
    „Brummbär natürlich!“
    „Und Sie sind Schneewittchen, Adele?“
    „Für diese Rolle bin ich zu alt.“
    Mein Mann warf mir einen wutentbrannten Blick zu. Ich durfte keine Witze über unsere Paarbeziehung machen, auch wenn Albert die Verletzlichkeit seines Freundes schon immer durchschaut hatte. In unserem Märchen war ich diejenige, die Kurt aus einem langen Schlaf geweckt hat. Ich habe ihn vor seinen inneren Drachen und einigen Hexen der Familie gerettet.
    „Machen Sie sich ruhig über mich lustig! Für mich stellen nur Märchen die Welt dar, wie sie sein sollte und wie sie Sinn hätte.“
    „Unverständlich, mein lieber Gödel, ist, dass die Welt verständlich sein soll.“
    Einstein senkte den Kopf, um höflich zwei Passanten zu ignorieren, die überlegten, ob sie ihn ansprechen sollen.
    „Ich habe schon wieder zwei verschiedene Socken angezogen. Margot wird schimpfen. Das ist ein weiteres großes Rätsel: Wohin verschwinden diese verflixten Socken?“
    „Kurt konnte dieses Rätsel nie lösen!“
    „Zweifellos verschwinden sie zusammen mit unseren Hoffnungen und mit unserer Jugend in der Eigentümlichkeit von Raum und Zeit.“
    „Sie sind fit, Gödel! Ist das Humor? Poesie? Was haben Sie heute gefrühstückt?“
    „Vielleicht müsste man die Frage umgekehrt stellen: Warum verschwindet nicht auch die andere Socke?“
    „Potzblitz! Sie haben wirklich recht, Adele! Ein ungelöstes Problem ist ein schlecht formuliertes Problem. Unterliegt die Wahl der exilierten Socke einem Determinismus? Ich werde Pauli über diesen Quantensprung berichten. Es ist eine neue Erweiterung der Quantentheorie. Es würde doch mit dem Teufel zugehen, wenn er nicht eine kleine, erlesene Matrix für mich fände. Was meinen Sie, Gödel? Das ist doch ein aufregendes Thema für Ihre Veröffentlichung: ‚Der relativistische Waschkessel‘!“
    „Ich habe dafür schon ein Thema.“
    „Worum handelt es sich, Kurt? Du hast mir nichts davon gesagt.“
    „Der Philosoph und Herausgeber Paul Arthur Schilpp hat mich eingeladen, an einer Festschrift zu Ehren von Professor Einsteins 70. Geburtstag mitzuwirken.“
    „Dann bist du ja während meiner Abwesenheit beschäftigt.“
    Albert war zerstreut stehen geblieben.
    „Ich hatte das Problem damit gelöst, dass ich gar