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Die Göttin im Stein

Titel: Die Göttin im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Beyerlein
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ihren Busen.
    »Nein!« sie schrie auf, zuckte vor ihm zurück, kreuzte die Arme über der Brust. »Nein!«
    Er stand mit hängenden Armen da, verstört, beschämt.
    Sie umarmte ihn, weinte. »Es, es tut mir leid, Irrkru, nicht
    böse sein, ich will es doch auch, aber ich kann nicht . . .«
    Er nahm sie in die Arme wie ein Bruder. »Nicht weinen,
    Naki. Es wird gut. Alles gut.«
    Es war nicht gut geworden. Immer wieder hatte sie darum gekämpft. Und immer wieder den Kampf verloren. Wann immer Irrkru sie hatte anfassen wollen, war es gewesen, als sei Lykos wieder da. Bis zu jenem Tag ...
    Wirrkon und Ria lagen dicht aneinander gedrängt in der kleinen Hängematte, die sie für die beiden geknüpft und am Ast der Eiche befestigt hatte. Sie beugte sich über die Kleinen. Sie schliefen tief. Ria nuckelte im Schlaf vor sich hin. Naki lächelte und unterdrückte das Verlangen, den beiden über die Haare zu streicheln. Sie sollten jetzt nicht aufwachen. Denn jeden Augenblick würde Irrkru bei ihr sein.
    Heute mußte es gelingen.
    Naki trat unter dem Baum hervor und blickte über das Moor. Da sah sie ihn kommen.
Er
ging langsam, mit gesenktem Kopf, hängenden Schultern.
    Fürchtete er so sehr, sie würde ihn wieder zurückweisen?
    Sie hatte den Mantel im Streu der Laubscheuer schon ausgebreitet. Heute würde sie es zulassen. Heute würde sie ihm alles geben. Sie wünschte es sich doch so sehr!
    Früher hatte sie sich aus Lykos' Umarmungen in die Vorstellung geflüchtet, es sei Irrkru. Und nun, da es wirklich Irrkru war –
    Tränen standen in ihren Augen.
    Irrkru erreichte das Ufer des Moores. Sie rannte ihm entgegen, wollte ihm um den Hals fliegen. Kurz vor ihm verlangsamte sie ihren Schritt, stockte. Er weinte.
    »Irrkru, mein Lieber!« Sie nahm ihn an der Hand und zog ihn mit sich zur Laubscheuer. »Was ist geschehen?«
    »Tot!« sagte er heiser. »Drei Knaben aus einem Dorf, das zu Hairox gehört. Hairox hatte sie zu den Wölfen gezwungen. Und jetzt sind sie tot wie Fior. Ihre Wunden – sie müssen entsetzlich gelitten haben–« Er stöhnte. »Und es ist meine Schuld!«
    »Deine Schuld?« Kaum brachte sie die Worte heraus.
    Er schlug sich mit der Faust an die Stirn. »Ich habe die Bauern beschworen, Widerstand zu üben! Und sie haben es getan. Sie haben den Bohlenweg, der durch eine Moorsenke zu ihrem Dorf führt, zerstört und dort einem Wolfskrieger aufgelauert, der bei ihnen Vorräte rauben wollte. In der Nähe ihres eigenen Dorfes haben sie einen Wolfskrieger erschossen! Natürlich hat Hairox erkannt, von wem dieser Anschlag kam. Und als Rache die unschuldigen Jungen zu Tode martern lassen. Hätte ich nicht zum Widerstand aufgerufen, dann würden sie jetzt noch leben!«
    Sie nahm sein Gesicht zwischen ihre Hände und küßte ihm die Tränen von den Wangen. »Nicht«, flüsterte sie, »nicht, Irrkru! Es ist nicht deine Schuld. Du kannst nichts für die Grausamkeit von Hairox. Und die Bauern haben getan, was sie selbst für richtig gehalten haben.«
    »Aber wenn ich nicht –«, widersprach er. Sie legte ihm die Finger auf die Lippen und zog ihn in den Schuppen. »Komm, leg dich hierher!«
    Sie drückte ihn auf den Mantel im Laubstreu, kniete hinter ihm nieder und nahm seinen Kopf in ihren Schoß. Große Bärin, steh mir bei! Gib mir deine Kraft, ihn zu heilen von dem, was ihn quält!
    Sie legte ihre Fingerspitzen an seine Schläfen, ließ sie pulsen im Pochen seines Blutes. Er begann wieder zu sprechen, sich anzuklagen, zu weinen. Lange ging es so. Dann wurde er nach und nach still. Seine Züge entspannten sich.
    Sie faßte in seinen Nacken, versuchte den Griff, den sie von Zirrkan kannte. Doch etwas war anders. Irrkru stöhnte mit geschlossenen Augen.
    Sanft strich sie über sein Gesicht, zeichnete die Augenbrauen nach, die Linie der Nase, die Lippen, die Narbe. So hatte es Zirrkan ihr nicht gezeigt.
    Sie öffnete den Knebel seines Kittels, streichelte seine Schultern. Ihre Handflächen tranken die Berührung mit seiner Haut. Sie spürte, wie ein Erschauern durch seinen Körper rieselte, in ihren Körper überging, sie erzittern ließ und wieder verebbte.
    »Naki, du«, murmelte er.
    »Schschsch!« machte sie sacht, beugte sich über ihn und schloß seine Lippen mit ihren. Sie rieb ihr Kinn an seinem schlecht geschabten. Das leise Kratzen erinnerte sie für den Bruchteil eines Augenblicks daran, wie ihr Muga sich nachdenkend über das Kinn strich. Ihre Lippen erkundeten jeden Fingerbreit seines Gesichts und fanden

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