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Die Göttin im Stein

Titel: Die Göttin im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Beyerlein
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habe ich dich gerufen, unter den Toten habe ich dich gesucht, du hast mich nie gehört, doch nun bist du da.
    Verachtest du mich nicht?
    Ach Mutter, Mutter, ich schäm' mich so furchtbar, und mit jedem Tag mehr.
    Ich hätte nicht schwach werden dürfen, als er mich eingesperrt hat. Jetzt kann ich nicht mehr zurück.
    Du hast im Grab ohne Trinken ausgeharrt, warum habe ich nicht das Wasser ausgeschüttet, dann wäre der Ruf der Eule an mich ergangen, aber ich wollte nicht sterben, Mutter, und jetzt, jetzt muß ich leben.
    Ich bin schwanger, Mutter.
    Bist du in dem Kind, das ich trage, bist du es, die in mir wächst bis zur Wiedergeburt?
    Kann ich deine Nähe deshalb spüren?
    Nie habe ich deine Stimme gehört. Immer nur die von Tante Mulai, und manchmal die vom Großen Oheim. Ich weiß nicht, wo sie herkommen. Sie sind böse auf mich. Warum haben sie kein Mitleid mit mir? Was sie sagen – es ist schlimm.
    Ich habe Angst vor ihren Stimmen. Aber ich kann ihnen nicht entkommen.
    Wenn ich deine Stimme hören könnte, wenn du mich trösten würdest –
    Bleib bei mir, Mutter, verlaß mich nie mehr! Hilf mir, das
    alles auszuhalten! Denn mein Kind, es soll leben.
    »Es soll leben!« wiederholte Naki haut. »Möge die Bärin das Ungeborene schützen und die Hirschkuh mir bei der Geburt beistehen, damit es nicht Schaden nimmt!« Dann hob sie die Arme zum Himmel und sang trotzig von der Allmacht der Bärin und der Güte der Hirschkuh. Je länger sie sang, desto freier wurde ihr.
    Sie beschrieb mit den Armen den weiten Kreis, die Mutter, unsichtbar neben ihr, tat es wie sie, senkte die Arme im großen Bogen herab, reckte sie wieder zum Himmel, schloß in dieser einen Bewegung alles ein: den Mond und die Sterne, den Erdkreis und das Himmelsgewölbe, die Höhle des Grabes und den Leib der Großen Göttin als ewigen Gral des Lebens und des Heils, die Pflanzen und die Tiere, die lebenden Menschen und die toten, die Mutter und das ungeborene Kind, das Geheimnis der Wiedergeburt.
    Da fielen andere Stimmen in ihr Lied ein, Naki wunderte sich nicht darüber, Daire und Lele waren aus dem Haus gekommen und sangen ihr Lied mit, tanzten ihren Tanz.
    Sie faßten sich an den Händen und tanzten schreitend und hüpfend im Kreis.
    Vergaßen alles andere.
    Als sie endlich aufhörten zu tanzen, umarmten sie einander.
    Daire, die Hofbäuerin, war es, die Naki in die Arme schloß und sagte: »Lange war es nicht mehr so wie heute nacht. Lange haben wir diesen Tanz nicht mehr so voller Andacht getanzt.
    Böses wollte Lykos, als er dein und mein Schicksal und das meiner Kori so furchtbar verwoben hat. Aber trotz allem hat er Gutes für uns bewirkt. Mit dir, Naki, ist der Segen an unseren Hof zurückgekehrt, und gesegnet sollst du sein!«
    Eine leise Stimme weckte sie im Morgengrauen: »Haibe, mein Lieb!«
    Sie öffnete die Augen, und dann lag sie in Zirrkans Armen.
    Kein Gedanke an die Leidenschaft, die zwischen ihnen gebrannt hatte, an die Umarmungen, in denen sie sich wie Ertrinkende aneinandergeklammert hatten. Kein Gedanke an die lustvollen Zärtlichkeiten.
    Da war nur Wärme, Trost und Schutz.
    Sie weinte still vor sich hin, und er murmelte Laute und halbe Worte des Zuspruchs und streichelte beruhigend wie eine Mutter ihr Haar.
    »Zirrkan, ich hab' dich so vermißt«, flüsterte sie, erst als sie die Worte aussprach, wußte sie, daß sie stimmten, sie hatte nicht an ihn gedacht, die ganzen qualvollen Tage und Nächte nicht, und doch war es die Wahrheit.
    »Ich weiß«, gab er leise zurück, »ich konnte nicht eher zu dir kommen, ich erklär' es dir später, mein armes Lieb, ich weiß, was du durchgemacht hast, ich kenne es, Haibe, ich habe das alles selbst erlebt, damals vor acht Jahren. Keiner, der das nicht erlitten hat, ermißt, was es bedeutet.«
    »Nein«, stimmte sie zu, »keiner.«
    »Laß mich dir helfen!« bat er.
    »Das tust du bereits.«
    »Nicht so, nicht nur als Freund. Als Heiler. Wozu habe ich diese Hände!«
    Sie zögerte.
    Früher, wenn Zirrkan in ihr Dorf gekommen war, hatten sich stets Frauen, Männer und Kinder gefunden, die ihn um Heilung gebeten hatten. Aber ohne daß sie je darüber gesprochen hätten, waren sie sich immer eins gewesen, daß dies etwas war, was zwischen ihnen nicht sein sollte.
    »Die Göttin hat mir geholfen, heute nacht beim Tanz«, wehrte sie ab.
    »Die Göttin kennt viele Wege. Einen hat sie dir durch den Tanz geöffnet. Ich geh' einen andern. Vertrau mir!«
    Sie legte sich nieder, wie er es wollte,

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