Die Göttin im Stein
hatte von der Mutter gelernt.
Was würde die Mutter jetzt an ihrer Stelle tun? Wenn dein Essen für unvorhergesehene Gäste nicht ausreicht, dann mußt du sehen, wie du es verlängerst, hatte die Mutter ihr eingeschärft. Gieß Wasser zur Suppe, und laß deine schönste Magd um so reichlicher starke Getränke ausschenken! Wenn ihre Sinne benebelt sind, achten die Herren nicht so darauf, was sie essen.
Nun, starke Getränke hatte sie: Der Brombeersaft war schon lange vergoren. Und Sahir in dem blauen Kleid, das sie ihr geschenkt hatte, war eine Augenweide. Doch wie um alles in der Welt verlängerte man ein Rebhuhn?
Sie konnte es ausbeinen und kleinschneiden. Und schön anrichten. Mit Holzäpfeln. Am besten hackte sie die Äpfel, sie waren noch etwas hart. Und mischte sie unter das Rebhuhnfleisch.
Das war immer noch etwas dürftig. Warum fiel ihr nichts ein.
Die Mutter verfeinerte viele Speisen mit Haselnüssen. Und Kräutern. Halt, das war noch zu trocken. Vielleicht saure Sahne dazu? Nein, die war für die Kuchen aufgebraucht. Also Dickmilch. Und Preiselbeermus. Fruchtig und knackig. Ja, das war gut. Sie spürte geradezu auf der Zunge, wie das schmecken würde.
»Sahir, lauf in den Speicher, und hol Haselnüsse und Holzäpfel! Und knack die Nüsse auf!«
Wenn die Nüsse fertig waren, würde die Zeit reichen. Wenn wirklich Gäste kamen, konnte Noedia die Äpfel hacken und das Rebhuhn zerkleinern, während sie selbst mit Sahir den Brombeerwein ausschenkte. Das Weitere wäre rasch bereitet. Sie seufzte erleichtert auf.
Moria holte den Honigtopf, träufelte etwas Honig in den geschlagenen Schmant – nicht zuviel, Lykos mochte nichts allzu Süßes – und zog vorsichtig das Moosbeerenmus darunter.
Sie kostete. Säuerlich, sahnig, frisch. Es würde Lykos schmecken. Vielleicht würde er sie wieder dafür loben ...
Auch Sahir, die vom Speicher zurückkam, probierte und schloß genießerisch die Augen.
»Wie Ihr das macht, Herrin«, sagte sie. »Diese Kuchen! Ihr könnt es genauso gut wie Eure Mutter! Ich habe es von den anderen Mägden gehört. Alle sagen, Ihr seid eine viel bessere Hausfrau, als Noedia es war!« Moria schluckte. Da war wieder dieses seltsame Gefühl, das sie immer spürte, wenn etwas sie daran erinnerte, daß Noedia vor ihr die Herrin dieses Hofes gewesen war.
Moria ließ den Löffel sinken.
Der ernste Augenblick, als Lykos ihr zum Abschluß der Heiratsfeierlichkeiten die Wasserschale reichte – Dies ist das Wasser meines Hofes, ich will es teilen mit dir, denn du sollst Gemeinschaft haben mit mir –, als er sie um die Herdstelle führte – Dies ist das Feuer meines Hofes, ich will dich daran aufnehmen, denn du sollst Gemeinschaft haben mit mir –, als er sie schließlich der Hausgemeinschaft vorstellte: Seht her, dies ist Moria, meine ehrenwerte Frau. Ehrt sie und gehorcht ihr, denn sie ist eure Herrin!
Nur einen Gedanken hatte sie in diesem Augenblick: Ihm alles recht zu machen, ihn immer zufriedenzustellen.
In ihren Ohren die Ratschläge der Mutter: Du wirst keine Schwiegermutter haben. Das ist gut, weil du von Anfang an Herrin bist. Und schlecht, weil du allein für alles verantwortlich bist. Bring die Mägde auf deine Seite! Wenn sie dich lieben, werden sie besser arbeiten, als wenn sie dich fürchten. Vergiß nicht, es rächt sich an dir, wenn sie einen Fehler machen, du mußt dich vor deinem Mann rechtfertigen, nicht
sie! Und vor allem, gewinne mit Freundlichkeit die Frau für
dich, die vor dir den Haushalt geführt hat! Rechne damit, daß sie dich haßt, weil du in ihr Amt einbrichst. Demütige
sie
nicht, sondern bitte sie um Hilfe. Sie kann dir das Leben schwermachen, doch wenn sie dich unterstützt, dann hast du schon gewonnen!
Lykos stellte ihr die Mägde vor, begann bei den ranghöheren, fuhr mit den rangniedrigeren fort. Angespannt versuchte sie sich alle Namen zu merken, jeder zuzulächeln, zu jeder etwas Freundliches zu sagen. Ihre Knie zitterten. Hinter dem Rücken schlang sie die Finger ineinander, verbarg das Beben ihrer Hände.
Sie dürfen nicht merken, wie unsicher ich bin.
»Und das ist Noedia, die Letzte deiner Mägde!« schloß Lykos und wies auf eine ältere Frau.
Die Magd verneigte sich. Keine Spur von Lächeln. Das Gesicht abweisend ausdruckslos.
Die freundlichen Worte erstarben auf den Lippen.
Sie knetete den Stoff ihres Rockes zwischen den Fingern. Dann straffte sie die Schultern, sah in die Runde der Mägde, sprach die Worte, die sie sich seit Tagen
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