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Die goldene Barke

Die goldene Barke

Titel: Die goldene Barke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moorcock
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erhellten die verstaubte Halle. Als der dicke Anführer Miranda und Tallow die Treppe herabkommen sah, schielte er lüstern auf Miranda.
    »Die Dame des Hauses!« grölte er seine Freunde an, die in Lachen ausbrachen. Die düstere Höhle von Saal füllte sich mit mißtönenden Klängen, die einem Tierpark zu entstammen schienen.
    Miranda sagte höflich und ohne jedes Gefühl: »Wenn Sie wollen, können Sie die Nacht über hierbleiben. Wir haben eine Menge Betten.« Sie drehte sich um und wollte wieder hinaufgehen. »Betten!«
    Die betrunkene Meute nahm das Wort fröhlich auf und sang es durch den Saal. »Betten. Betten. Betten.« Nach kurzer Zeit verlor das Wort seine Bedeutung, und sie verfielen in schrilles Gelächter. Miranda und Tallow blieben stehen und betrachteten sie. »Machen wir etwas Licht, Jephraim«, sagte sie.
    Er gehorchte zögernd, ging zu den Kerzen und zündete sie mit einem dünnen Wachslicht an. Die Halle erstrahlte in Licht, das die Nachtschwärmer blendete. Wieder wurde gekichert. In der Mitte des Saales stand ein langer Tisch; die Stühle waren an die Wände gerückt. Tallow sah den Saal zum ersten Mal beleuchtet. Alles war verschmutzt, und die Tünche blätterte ab. Decke und Wände waren mit Moderflecken übersät, die im Licht besonders deutlich hervortraten. Tallow zuckte die Achseln und wollte wieder die Treppe hinauf, als ihm Miranda die Hand auf den Arm legte. »Wir bleiben ein kleines bißchen«, sagte sie.
    Hoffentlich weiß sie bald, was sie will, dachte er sich mürrisch. Er bereute jetzt die Regung, die ihn dazu gebracht hatte, die Leute einzulassen.
    Weich waren diese Leute, von einer Weichheit, die Tallow noch nie erlebt hatte. Bis zum letzten waren sie alle verzärtelte Schoßkinder. Schlanke Frauen mit spröden Blicken und feiste Männer mit leeren Augen, zufrieden mit den eigenen Werturteilen, die ihnen die Angst diktiert hatte, Gaukler, die sich vorgaukelten, sie seien lebendig. Tallow konnte sie nur bedauern und hassen. Mit jeder Sekunde, die sie noch länger blieben, trieben sie ihn tiefer in sich selbst hinein, in den Rückzug in die umfassende Tiefe seiner dunklen Seele.
    Er starrte sie an, starrte weiter, als Flaschen auf den Tisch gehäuft wurden und Miranda sich zwischen ihnen verlor und von ihrer Oberflächlichkeit aufgesogen wurde. Da war Tallow irgendwie entsetzt, aber sein Verstand weigerte sich, dem Körper Befehle zu erteilen. Er stand auf der Treppe und beobachtete sie, unfähig, sie zu verlassen oder sich zu ihnen zu gesellen.
    Kleidungsstücke wirbelten in alle Richtungen, und Tallow sah ein blaues Gewand und einen schwarzen Umhang gemeinsam hinflattern. Nackte Bäuche schwabbelten, und nackte Brüste wippten, und weißes, ungesundes Fleisch gab den Hintergrund für dunkles Haar.
    Ihm wurde übel. Schließlich schleppte er sich hinauf ins Schlafzimmer. Sein Ich war zerschmettert, doch der Schmerz über den Verlust, über die Erniedrigung war größer. Er lag schluchzend auf dem Bett, ohne Gedanken und voller Gefühle, und seine ganze Welt war eine zeitlose Flut von Selbstmitleid. Er blieb stundenlang mit hämmerndem, schmerzendem Kopf liegen und fiel endlich in unruhigen Schlummer, ungefähr eine weitere Stunde lang. Als er wieder erwachte, war er ruhig. Er wußte, daß er einen Fehler gemacht hatte, daß er einen Teil von sich zerstört hatte, als er die Barke zugunsten Mirandas Liebe aufgegeben hatte. Er hatte zuviel Zeit verloren, und wenn es sich noch machen ließ, war es besser, der Barke zu folgen. Das war seine Richtung, sein Ziel, sein Lebenszweck: der Barke zu folgen, dorthin zu gehen, wohin sie ihn führte, ohne Rücksicht darauf, was ihn davon abhalten wollte.
    Er nahm einen großen wollenen Umhang aus einem Schrank und legte ihn sich um die Schultern. Dann ging er und war unruhig, weil er das Haus durch den Saal verlassen mußte. Als er ihn erreichte, staunte er.
    In der Mitte des Raumes befand sich eine pulsierende Fleischpyramide, sauberes Fleisch und schmutziges Fleisch, weiches Fleisch und grobes Fleisch. Es war zum Lachen. Die unmöglichsten Glieder fanden sich in den seltsamsten Verbindungen. Ein Paar rosiger Hinterbacken schien in einem Arm zu enden, an Beinen lagen Nasen, Gesichter auf Rümpfen, Brüste an Zehen.
    Eine solche Szene hätte Tallow vielleicht ekeln können, doch war er erstaunt, denn den seltsamsten Anblick bot der Arm, der an der Spitze des bebenden Menschenberges winkte und ein blinkendes Weinglas in den Fingern hielt.
    Die

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