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Die goldene Barke

Die goldene Barke

Titel: Die goldene Barke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moorcock
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Bürschlein, aufgepaßt, was du machst. Verstößt du gegen
    die Gesetze, wirst du gerädert und gevierteilt.«
    Tallow ging beunruhigt und verwirrt in die Stadt hinein. In ihr herrschte Grabesstille, die Stille einer verlassenen Stadt. Doch Menschen schlurften durch die Straßen. Elendes Pack, erbärmliche Leute, halbtote Leute in Fetzen und Lumpen, düster, unrasiert, ungewaschen. Unglückliche Leute, die Tallow auf seinem Weg durch die Stadt mit keinem Blick beachteten. Schließlich hatte er sich in dem Labyrinth verlaufen. Eine Frau kam vorbei. Sie hatte ein schmales Gesicht, und die Lippen des eingefallenen Mundes waren rot bemalt. Sie trug eine runde, randlose Brille, und die Haare hingen ihr wie Bindfäden ins Gesicht. Sie hatte sich einen alten braunen Mantel um die Schultern gelegt, unter dem sie ein verblüffend buntes Kleid mit Blumenmuster trug. Es wirkte völlig fehl am Platze.
    Die Farbe zog Tallow an, und er trat ihr in den Weg. Sie
zuckte zusammen, blickte ihn aus großen Augen durch die
Brille an.
»Ja?« flüsterte sie.
    »Wo kann man hier Nahrungsmittel kaufen?« fragte Tallow, auf die Höflichkeitsfloskeln verzichtend.
    Sie zeigte in westliche Richtung und schlurfte weiter.
    Schließlich erreichte Tallow einen Marktplatz, der nichts mit den Märkten gemein hatte, die er kannte. Es gab zwar auch Getriebe und Lärm, aber das Getriebe war irgendwie gleichgültig, der Lärm irgendwie gedämpft. Es war, als würden alle flüstern, als würden sämtliche Bemerkungen im verborgenen ausgetauscht. Es gab nur eine laute Stimme, und sie vibrierte vor Gefühlstiefe. Tallow betrachtete einen Obststand, hörte ein paar der Worte und war sich bewußt, daß man ihn ansah, verstohlen und aus den Augenwinkeln.
    »Sünde!« hörte er. »Gott … die jenseitigen Welten … unendlich … Gnade … Erbarmen … gemeinsam … lieben …« Es war eine Stimme, die etwas zu sagen hatte, und wenn man die Menge beobachtete, die sich um den unsichtbaren Sprecher versammelt hatte, sah man, daß die Leute der Botschaft der Stimme hingegeben lauschten.
    Tallow kaufte Früchte, Gemüse und gepökeltes Fleisch und trat zur Menge.
    Als der kleine Tallow sich auf die Zehenspitzen stellte und versuchte, über die Schultern der dicht gedrängten Menschen zu spähen, wandte sich ein Mann um und blickte ihn an. Die Augen des Mannes leuchteten, und er war aufgeregt und begeistert.
    »Es ist der Ehrwürdige Mesmers«, flüsterte er. »Er predigt wieder. Er ist wundervoll. Aber wenn er nicht aufpaßt, wird er verhaftet. Man hat ihm bedeutet, nicht auf dem Markt zu predigen.« »Weshalb?« fragte Tallow.
    »Weil Sie behaupten, er würde Ihre Autorität untergraben. Und wenn man es bedenkt, tut er das vielleicht auch. Im Augenblick scheinen aber keine Stadtwächter in der Nähe zu sein. Ich hoffe, daß Sie ihn nicht erwischen, oder uns, die wir ihm zuhören.«
    »Wer sind ›sie‹?« flüsterte Tallow verwirrt und wurde immer wachsamer.
    »Florums Männer.« Der Mann wandte sich ab und sah wieder zur Mitte des Kreises hin. Tallow nahm an, daß Florum der Beherrscher dieser Stadt war.
    »Meine Freunde, ihr kennt mich gut. Ich bin kein Mensch, der haßt. Für Florum und seine korrupten kleinen Handlanger habe ich nur Mitgefühl. Ich bitte euch nicht um den Gefallen, ihn zu stürzen oder mit seiner Regierung Schluß zu machen. Ich ersuche euch nur, zu lernen, miteinander in Harmonie zu leben. Vergeßt eure Ängste, eure Abneigungen, und Florum wird euch nie Schaden zufügen können.«
    Alles schön und gut, dachte Tallow, aber was, wenn diese Wächter auftauchen? Er fuhr herum und starrte zurück auf den Marktplatz. Die Stimme des Predigers klang bestimmt aufrichtig. Kein Zweifel, daß er glaubte, was er sagte, und wenn der andere Mann recht hatte, so verfügte er auch über Mut. Die Worte bedeuteten Tallow nur wenig, aber er bemerkte, daß die Lauschenden tief beeindruckt waren. Dann sah er, wie sich Wächter über den Marktplatz verteilten und auf die Menge zukamen.
    »Aufgepaßt!« schrie er ohne Überlegung. »Wächter!«
    Plötzlich verwandelte sich die hingerissene Zuhörerschaft in hundert bestürzte, verängstigte, durcheinanderwirbelnde Teile, die in sämtliche Richtungen auseinanderstoben. In Windeseile waren alle fort, und nur Tallow und der Prediger und die Wächter blieben zurück. Mesmers trug ein blaues Gewand, das an den Säumen verschlissen war. Er blieb stocksteif stehen und starrte den Wächtern entgegen. Tallow

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