Die goldene Barke
Finger liefen in purpurn bemalte Krallen aus. Mirandas Finger. Der Arm verschwand ab und zu in dem Berg, und das Glas kehrte, wie eine Siegesfackel gehalten, jedesmal ein wenig leerer an seinen Platz oben auf der Pyramide zurück. Tallow schluckte mit weit aufgerissenen Augen. Bitterkeit stieg wieder in ihm auf, als er auf Zehenspitzen den Haufen umrundete und die Hand auf die Türklinke legte. »Gute Nacht, Miranda!« rief er zum Abschied.
Die Hand mit dem Weinglas winkte. »Gute Nacht, Jephraim,
wir sehen uns nachher!« Die Stimme klang gedämpft und verschwommen, und in ihr schwang eine falsche Fröhlichkeit mit, die überhaupt nicht zu Miranda paßte. Gewöhnlich war Miranda entweder glücklich oder traurig, in ihren Gefühlen nie falsch.
»Nein, werden wir nicht, Miranda«, rief er, als er die Tür aufzog und in die verregnete Nacht hinaus floh und blind den sandigen Pfad zum Fluß hinunterrannte. Er lief vor etwas davon, das in ihm blieb, dem er nicht entfliehen konnte, das ihn zerstörte, wobei ihm die Kraft fehlte, es zu bekämpfen. Tallow floh also.
Siebtes Kapitel
D as Boot lag halb voll mit Regenwasser noch immer
auf der Sandbank. Tallow sah es mutlos an. Dann
legte er seinen Umhang ab und trat in das kalte, dunkle Wasser. Er fröstelte, zwang sich aber weiterzuwaten. Das Holz des Schiffes fühlte sich gut an, als er die Hände daranlegte und sich in die Höhe zog. Er starrte in die Finsternis und suchte die Schöpfeimer. Schließlich fand er sie und begann zu schöpfen.
Als er fertig war, schwang er sich noch einmal über den Bootsrand, schritt langsam um das Boot herum und untersuchte es, so gut das im schwachen Mondlicht ging. Dann kehrte er zum Heck zurück, stemmte die Schultern dagegen und drückte es in die Höhe. Das Boot veränderte seine Lage ein bißchen. Tallow bewegte sich zur Backbordseite hin, fing an, das Boot zu schaukeln, und schob ein wenig Sand beiseite.
Drei Stunden später war das Boot flott. Von der Anstrengung erschöpft, sank Tallow auf die feuchten Bretter, wo er in einen Halbschlaf verfiel. Schließlich richtete er sich wieder auf, als er am Ufer eine Bewegung wahrnahm. Er blickte über den Rand und sah Miranda als dunklen Schatten im Mondschein stehen, die Haare windzerzaust, um die Schultern einen schwarzen Männerumhang.
»Jephraim«, sagte sie, »es tut mir leid. Ich weiß nicht, wie es dazu kommen konnte.«
Tallow erwiderte mit schwerem Herzen und dumpfem Verstand: »Ist in Ordnung, Miranda. Ich gehe jetzt fort.« »Deshalb?« Sie zeigte zum Haus hinüber.
»Nein«, sagte er langsam. »Wenigstens nicht nur deshalb. Es hat es mir erleichtert.«
»Ich kann da natürlich nichts sagen.« Ihre Augen waren aufrichtig, ihr Körper schlaff.
»Nein, nichts. Es mußte geschehen, Miranda. Du hättest vielleicht einmal mit mir der Barke folgen können, aber jetzt nicht mehr, niemals. Ich hätte dich gern bei mir gehabt, doch du wirst in der Barke doch immer die Rivalin sehen, nicht?« »Nein!« rief sie. »Ach nein! Ich werde mit dir kommen, bit te! « Sie bewegte sich auf das Wasser zu. »Es ist immer noch Zeit. Ich werde versuchen, die Barke so wie du zu sehen. Das werde ich.«
»Nein«, sagte er. »Es ist zu spät. Ich gehe allein. Ich liebe dich, Miranda, aber ich kenne mein Schicksal. Du hast den Platz in ihm verloren. Vielleicht ist das meine Schuld, vielleicht auch nicht. Ich weiß es nicht.«
»Nimm mich mit«, wiederholte sie demütig. »Ich mache, was du willst.«
»Nein«, sagte er und rüttelte das Segel frei. »Lebe wohl.«
Doch sie warf sich ins Wasser und packte den Bootsrand und zog sich mit der Kraft der Verzweiflung in das Boot hinein. »Geh zurück, Miranda!« schrie er, weil er in ihrem Tun seinen Untergang sah. »Zurück, zurück! Es ist vorbei! Du wirst mich zerstören!«
Sie kam auf ihn zu und warf sich, naß wie sie war, in gräßlicher Erniedrigung vor ihm zu Boden. »Nimm mich!« stöhnte sie. Das Boot war jetzt in der Flußmitte und trieb rasch von der Sandbank fort.
»Ach Gott, Miranda«, schluchzte er, »zwing mich nicht. Ich muß der Barke folgen.«
»Ich komme mit, Jephraim, Lieber. Ich werde mit dir ziehen.«
Die Tränen rannen über sein Gesicht, sein Geist war verwirrt, und er atmete rasch. Ein Dutzend Gefühle lagen im Widerstreit miteinander und raubten ihm, vom Reden abgesehen, die Kraft zum Handeln.
»Du wirst mich zerstören«, sagte er. »Du wirst mich ruinieren, mein Schatz, meine Geliebte.« Er gab
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