Die goldene Barke
abstreiten?«
»Unmöglich! Was ich will, hat keinerlei Beziehung zu dem,
was Sie gesagt haben. Wenn ich überhaupt etwas will, dann das
Gegenteil.«
»Ich kann Sie nicht überzeugen?«
»Nein.«
Zhist seufzte und blickte resigniert Miranda an. »Was sollen wir tun?« fragte er sie.
»Tun? Wir können nichts tun. Ich habe versucht, ihn zu überzeugen, und Sie haben es auch versucht. Eine Menge Leute haben es schon versucht. Wir können nur hoffen, daß er die Jagd sein läßt und schließlich zurückkehrt.«
»Die Jagd wird, je länger sie dauert, immer verzweifelter werden.« Zhist seufzte. »Er wird nicht zurückkehren.« Tallow sagte: »Hört, ich bleibe noch ein paar Tage, aber dann werde ich fahren.«
»Wieso werden Sie jetzt weich? Sie sagten doch ganz überzeugt, daß Ihre Suche richtig ist?« Zhist stand auf und rollte seine Schultern, versuchte, seinen müden Körper zu kräftigen. »Ich werde nicht weich. Nie und nimmer. Aber ich möchte mich eine Weile ausruhen und nachdenken. Ich möchte mein Boot überprüfen lassen und viel Proviant an Bord nehmen, bevor ich abreise.«
»Ich werde mich heute abend darum kümmern«, versprach Zhist. »Inzwischen sind Sie mein persönlicher Adjutant, und ich hoffe immer noch, daß Sie bleiben. Sie und Miranda, ihr könnt Natchos alte Zimmer haben.«
»Danke«, sagte Tallow. Er fühlte sich von der Stellung und auch von Miranda eingeengt. Einen Teil seines Kampfes hatte er schon verloren. Er war bedrückt und sah im Augenblick keine Möglichkeit, den Konflikt, den er haßte, zu lösen. Sie sind fast so schlimm wie die Leute, die mich ›zu meinem eige nen Besten‹ einsperrten, dachte er. Es gibt verdammt viele Wohltäter, die mir schaden und dann selbst zu Schaden kom men.
»Ich hoffe, ihr werdet mich wenigstens eine Weile in Ruhe lassen«, sagte er.
»Sicher. Ich sehe Sie morgen mittag, wenn das recht ist?«
Tallow nickte und verließ den Saal. Miranda folgte ihm in
einigem Abstand. Sie lächelte Zhist zu und ging.
Tallow und Miranda schliefen nebeneinander, aber keiner von beiden hatte Lust zu lieben. Tallow machte sich zu viele Sorgen wegen seines Zwiespalts, und Miranda dachte voller Unruhe über die Zukunft nach. Sie schliefen nicht gut, und Tallow stand früh auf, zog die Sachen an, die Zhist ihm besorgt hatte, und spazierte durch die Straßen der Hauptstadt, die im hellen Morgenlicht lag.
Es war niemand zu sehen. Die meisten Bewohner hatten offenbar bis tief in die Nacht hinein gezecht und waren erst vor kurzem zu Bett gegangen. Tallows Stiefel lärmten über das Kopfsteinpflaster, und die Luft war kalt und klar. Die Luft half ihm aber nicht, den Kopf von den Gedanken zu befreien, die ihm Kummer machten. Er wollte gern leugnen, konnte es aber nicht, daß er von dem Gespräch des vergangenen Tages berührt worden war. Die Argumente Mirandas und Zhists hatten für ihn trotzdem nichts Konstruktives enthalten, sie hatten nur bewirkt, daß er sich verwirrt und verblüfft vorkam. Er glaubte, daß sein Weg der richtige sei, doch die dunkle Ahnung von anderen Pfaden, die am Ende genauso wirkungsvoll sein konnten, rief in ihm große Bestürzung hervor, und es war mit weiteren Verzögerungen zu rechnen.
Zerrissenes Fahnentuch lag auf den verlassenen Straßen, überall, an Gebäuden, Baikonen, Fenstern und Laternenpfählen, waren Flaggen aufgezogen. Sie flatterten matt in der erfrischenden frühmorgendlichen Brise. Aller mögliche Abfall hatte sich in den Gossen angesammelt. Eine Menge Flaschen lagen herum, viele davon waren zerbrochen. Dann sah Tallow den Jungen.
Das Kind lag eingerollt in dem Abfall, was ganz natürlich wirkte. Es sah überhaupt nicht fehl am Platze aus. Es war in seinen zerrissenen Sachen und mit seinem schmutzigen Haar selbst ein Stück Unrat. Es schlief, und das Gesicht war vom abgewinkelten Arm bedeckt. Ohne genau zu wissen, warum, ging Tallow langsam auf das Kind zu und stieß den mageren Körper mit der Stiefelspitze an. Das Kind bewegte sich, erwachte und sprang auf, blickte wütend aus gräßlich gelben Augen, die rotgerändert waren, zu Tallow auf. Die Augen waren ebenso wie die gewaltige, unförmige Nase zu groß für den Rest des schmalen, faltigen Gesichts. Der Hals war dürr wie der eines Reptils, die Haut trocken und schuppig wie abgestreifte Schlangenhaut. Der Junge sah genau wie eine Schildkröte aus, selbst sein gebückter, unbeholfener Körper glich dem runden Panzer einer Schildkröte, seine riesige Nase beherrschte das
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