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Die goldene Barke

Die goldene Barke

Titel: Die goldene Barke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moorcock
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goldene Barke gesichtet wurde. Tallow sagte nichts, bis er der Barke noch viel näher gekommen war. Sie segelte so unerbittlich wie immer auf ihr rätselhaftes Ziel zu. Als sie dann voraus lag und den ganzen Fluß beherrschte, klopfte Tallow dem Kind auf die Schulter. Shoorom zuckte zusammen und sah Tallow aus seinen gelben Augen an. »Ja?« sagte er mutlos.
    Tallow zeigte auf die Barke und grinste. Sein Mund klaffte weit auf. »Dort!« rief er. »Dort ist die Barke, Shoorom! Dort ist sie!«
    Shoorom blickte unwillkürlich in die Richtung, die Tallow angab. Tallow hatte erwartet, daß Shooroms Augen einen neuen Ausdruck annehmen würden, aber dem war nicht so. Der Junge blickte zurück zum Heck des Bootes und starrte weiter auf das Wasser hinaus. Die plötzliche Abkehr verblüffte Tallow. »Nun?« fragte er ungeduldig. »Was hältst du von ihr?« »Von was?«
    »Von der Barke natürlich, von der goldenen Barke. Hab’ ich nicht recht gehabt?«
    Tallow begriff, daß die Barke wenig Eindruck gemacht hatte, und konnte das nicht verstehen. Er war sich sicher gewesen, daß Shoorom, nachdem er auch die Barke erblickt haben würde, zugeben würde, daß er, Tallow, recht gehabt hätte. »Was für eine Barke? Ich sehe vorn und hinten nur den Fluß. Ich möchte nach Hause.«
    »Schau noch einmal hin!« schrie Tallow verzweifelt. »Schau hin!« Der Junge wandte niedergeschlagen den Kopf und starrte noch einmal nach vorn. Er runzelte die Stirn und stierte auf die Barke und durch sie hindurch.
    »Was hältst du von ihr?« sagte Tallow stolz mit der Miene eines Mannes, der einen ihm gehörenden Schatz zur Schau stellt.
    »Bitte, Mr. Tallow, lassen Sie mich nach Hause. Ich kann überhaupt nichts sehen. Sie sind verrückt. Tun Sie mir nicht mehr weh. Ich möchte zurück.«
    Tallow packte den Jungen an den Schultern und schüttelte ihn unsanft. »Du bist blind!« brüllte er. »Natürlich kannst du sie sehen! Warum quälst du mich so? Du kannst sie sehen, du mußt sie sehen! Ich bin nicht verrückt! Andere haben sie auch gesehen! Ich bin nicht verrückt, andere haben mir von ihr erzählt! Hör auf, mich zu quälen! Hör auf damit, hör auf! Sag die Wahrheit, du Balg, du Scheusal! Sag mir, daß du sie sehen kannst!«
    »Ach, ich kann sie nicht sehen, Mr. Tallow. Lassen Sie mich nach Hause, bitte.«
    Tränen strömten aus Tallows Augen und rannen die Nase hinab. Er stellte den Motor ab, sank aufs Deck und legte den Kopf in die riesigen Hände. »Du bist sicher, daß du sie nicht sehen kannst?« flennte er. »Bist du dir sicher?«
    »Ja, ich würde sie ja sehen, wenn ich könnte. Ich hab’ ehrlich
versucht, sie zu sehen. Aber ich kann es nicht. Fahren wir jetzt
zurück?«
»Weshalb?«
»Ich möchte nach Hause.«
    »Ich sollte dich über Bord werfen. Ich dachte, daß du wenigstens die Barke sehen würdest, wenn sie sonst schon niemand sieht. Bin ich wirklich verrückt?«
    »Weiß ich nicht. Vielleicht können nur Erwachsene die Barke sehen. Vielleicht können Kinder sie nicht sehen, so wie Kinder Dinge sehen können, die die Erwachsenen nicht sehen. Werfen Sie mich nicht über Bord.« Der Junge zitterte vor Angst. »Möchtest du, daß ich dich nach Hause bringe?« »Ja.«
    »Warum willst du die Barke nicht sehen? Das ist die letzte Gelegenheit in deinem Leben. Du hast durch mich die Gelegenheit, große Geheimnisse oder die Wahrheit kennenzulernen. Warum versuchst du nicht, sie zu sehen?«
    »Ach, ich hab’ es versucht, Mr. Tallow. Hab’ ich Ihnen doch schon gesagt.«
    »Du meinst, Kinder können sie nicht sehen. Du hast vielleicht recht. Aber ich dachte immer, daß Kinder mehr über solche Dinge wissen als Erwachsene. Ich habe mich getäuscht.« »Vielleicht sehen die Kinder die Dinge anders.«
    »Du möchtest nach Hause fahren? Na schön, ich bringe dich nach Hause. Ich weiß nicht, wieso, da du einen Traum zerstört hast und ich dich hassen müßte. Aber«, seufzte er, »ich bringe dich heim.«
    Tallow legte acht Tage nach seiner plötzlichen Abreise wieder in Rimsho an. Der Kai war schwer bewacht, aber man erkannte ihn, und er kam ohne große Schwierigkeiten an den Wachen vorbei. Der Junge beeilte sich, von ihm fortzukommen, und verschwand in einer Nebenstraße. Tallow machte keine Anstalten, ihn aufzuhalten oder ihm Lebewohl zu wünschen. Er hatte schon lange das Interesse an dem Jungen verloren und war froh, daß er ihn loswurde. Er fragte sich, warum er sich die Mühe gemacht hatte, die ganze Strecke zur Stadt zurückzufahren,

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