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Die goldene Barke

Die goldene Barke

Titel: Die goldene Barke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moorcock
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häßlich. Meine Mutter duldet sie bei sich. Meine Tante gibt ihr zu essen. Ich weiß, was Sie sind, häßlich.«
    »Ich rede nicht von anderen, die so wie du aussehen. Gibt es
    andere, die so wie du fühlen?« »Wie fühle ich denn?«
    Tallow sagte vorsichtig: »Du fühlst dich allein. Ungeliebt. Unnütz. Du fühlst, daß du niemanden brauchst.«
    »Ja, so fühle ich mich. Aber ich kenne niemanden, der so wie
ich ist. Muß ich denn jemanden kennen?«
»Nein. Ich kannte auch niemanden.«
      Tallow fühlte sich aus seiner Tiefe, aus seinem Element geworfen. Er suchte verzweifelt nach einem Schlüsselwort, das die Verbindung herstellen würde, etwas, das den Jungen begreifen ließe, daß er nicht mehr allein sei. Tallow fragte sich, ob er tatsächlich jemanden brauchte, ob der Junge jemanden brauchte, ob es nicht besser für beide wäre, allein zu sein. Der Junge wollte nichts von ihm und fing offensichtlich an, unruhig zu werden. Tallow sagte verzweifelt: »Komm jetzt mit mir! Komm mit mir zum Fluß!«
    »Weshalb?« fragte das Schildkrötenkind starrsinnig.
    Tallow packte es und umklammerte die Glieder, die um sich schlugen. Er hob den Jungen auf und begann zu rennen. Zu seiner Überraschung schrie der Junge nicht, trat aber weiter um sich und versuchte, sich aus Tallows Umklammerung zu befreien. Tallow rannte wie besessen rasch zum Fluß hinunter. Er hoffte, nicht gesehen zu werden, denn sein Verhalten konnte, ganz gleich, wie unerwünscht der Junge sein mochte, als Entführung angesehen werden.
    Schließlich erreichte er ungesehen den Fluß. Sein Boot lag vertäut da und war halb mit dem Abfall gefüllt, der auch auf den Straßen lag. In der Nähe des Kais war der Fluß voller auf und nieder tanzender Flaschen und nasser, schlapper Papierfähnchen. Eine Hundeleiche, aufgedunsen wie eine Blase, schlug gegen die Längsseite des Bootes. Tallow sprang mit einem Satz an Deck und verdrehte dem Jungen den Arm, so daß er sich nicht bewegen konnte, ohne sich die Knochen zu brechen. Dann schaltete er die Zündung ein und gab Gas. Der Bootsmotor kam auf Touren, brüllte dann in voller Stärke auf und setzte das Boot in Bewegung, das aber noch vertäut war. Tallow löste das Seil und lenkte das Schiff auf den offenen Fluß hinaus. Er ließ das Kind los.
    »Ich kann nicht schwimmen.« Der Junge rieb sich den schmerzenden Arm und blickte zurück auf die Stadt.
    »Das brauchst du nicht zu können. Das Boot wird nicht un
tergehen.«
»Warum machen Sie das?«
      »Um dir zu helfen«, antwortete Tallow und verschluckte gerade noch den Satz: ›Es ist zu deinem eigenen Besten.‹ Das Kind begann überraschenderweise zu weinen. »Bringen Sie mich zurück«, schluchzte es. »Bringen Sie mich bitte zurück. Ich habe Angst vor Ihnen. Ich möchte nicht fort.« »Hör mal«, sagte Tallow mit Nachdruck. »Hör mich an, du Balg. Was ich tue, wird deinem Leben Sinn geben, du Scheusal. Ich nehme dich um deinetwillen mit und nicht, weil ich dich bei mir haben will. Verstehst du das?«
    »Nein! Nein! Sie bringen mich von zu Hause weg. Ich kann nicht schwimmen. Ich habe Angst vor dem Wasser. Wir werden ertrinken.«
    »Es wäre besser für dich zu ertrinken, als auf deine Art in Rimsho zu leben. Du wirst dort keine Freunde haben, du wirst nichts Nützliches tun. Du wirst größer werden, du wirst alt werden und sterben. Niemand wird von deinem Ableben Kenntnis nehmen. Hier gebe ich dir wenigstens etwas, für das sich zu sterben lohnt, einen Lebenszweck. Kannst du das nicht begreifen? Wirklich nicht? Du undankbares Geschöpf!« Tallow beruhigte sich etwas. »Wenn du die goldene Barke gesehen hast«, fuhr er mit beherrschter Stimme fort, »wenn du sie gesehen hast, wirst du wissen, daß das, was ich gesagt habe, wahr ist. Du wirst ihr ebenfalls so wie ich folgen wollen. Wir werden etwas lernen, von dem nur die wenigsten Narren in der Stadt je eine dunkle Ahnung haben werden. Sei jetzt still, weil ich schnell fahren muß. Ich habe schon zuviel Zeit verloren.« Der Junge beruhigte sich, aber Tallow konnte ihn, als er sich auf das Gewässer vor ihm konzentrierte, noch immer schluchzen hören.
    Vier Tage verstrichen, und das Kind Shoorom weigerte sich, mehr als nur die paar Brocken zu essen, die es am Leben erhielten. Wenn der Junge schlief, stöhnte er, und wenn er wach war, schwieg er. Tallow verbannte ihn bald aus seinen Gedanken und verwandte seine ganze Energie darauf, Geschwindigkeit aus seinem Boot herauszuholen, bis am vierten Tag die

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