Die goldene Göttin
entzückt, wie Tauben durcheinander flatternd, geehrt durch die Anwesenheit ihres Königs, brachten die Schwestern ihre schönsten Sprößlinge zur Begutachtung vor ihren Herrn.
Der Gottkönig betrachtete, was er geschaffen hatte, und fand es gut…
*
Der Meeresgott war in Bedrängnis. Er hatte einen Angriff auf die Wächter organisiert, um Fortune zu befreien, aber Fortune bedurfte nicht länger seiner Hilfe. Nachdem er geduldig ein Stadtviertel nach dem anderen durchgekämmt hatte, war Webley endlich im Tempel der Yolarabas auf seinen Partner gestoßen. Das heißt, er hatte ihn dort gesehen, wußte aber keine vernünftige Möglichkeit, Verbindung mit ihm aufzunehmen. Der Tempel war groß, und wenn Webley als fünfzehn Pfund schwerer Geier von Raum zu Raum flog, würde er damit nicht gerade Fortunes Anonymität nützen. Außerdem verblüffte ihn Fortunes Entschlossenheit, Norni zu retten.
Es war nicht das erste Mal, daß Webley von der Logik seines Partners verblüfft wurde, aber er hatte längst gelernt, daß er sie besser nicht in Frage stellte. Was sein eigenes Problem anging – die Armee der Anhänger Nodiesops, die sich bei Sonnenuntergang versammeln wollten, um gegen die Wächter zu marschieren –, so wünschte er sich nichts sehnlicher als Fortunes Gabe, alle Möglichkeiten in Betracht zu ziehen.
*
Sie hatten gesagt: »Dort darfst du nicht hinaufgehen!« also war er hinaufgegangen. Nun stand er in einem Korridor ohne zweiten Ausgang, irgendwo über der großen Halle des Tempels, und hörte Schritte näherkommen. In seiner Not schlüpfte er durch die nächstbeste Tür, die seinem Druck nachgab, und sah sich in einer Art Alkoven oder Windfang. Leise zog er die schwere Tür hinter sich zu, denn von der anderen Seite des Vorhangs, der ihn vom Raum trennte, hörte er eine Frauenstimme murmeln.
Vorsichtig spähte er durch den Spalt. Sprach sie mit sich selbst? Was er von ihr sehen konnte, sah sehr gut aus – kunstvoll aufgetürmtes Haar, das von feinen Goldketten gehalten wurde, eine vollendete Figur und ein Profil, das eine frappierende Ähnlichkeit mit Norni hatte. Er zog die Vorhangteile etwas weiter auseinander, um zu sehen, was sie so unverwandt betrachtete.
Einen Spiegel, natürlich! Eine große Kupferplatte mit einer so ebenen Oberfläche, wie manukronische Handwerkskunst es erlaubte. Sie war auf Hochglanz poliert und gab ein ziemlich getreues Spiegelbild des Mädchens. Wenn sie ihren Kopf nicht bewegte, schienen die Verzerrungen kaum aufzufallen.
Auf einmal wandte sie sich ab. Fortune zog sich hastig zur Tür zurück, aber ein knarrendes Dielenbrett verriet ihn. Zu alt für ein Versteckspiel, schlug er den Vorhang zurück und trat ein. Das Mädchen mit Nornis Gesicht starrte ihn einen Moment fassungslos an. Ihre Miene signalisierte Unheil, und dann fauchte sie: »Hinaus! Niemand hat hier Zutritt!«
Die Ähnlichkeit mit Norni war wirklich überraschend, aber sie war nicht Norni. Auf Fortune wirkte sie wie Nornis Double, wenn er die zwanzig Pfund Gewichtsunterschied zwischen den beiden ignorierte.
»Du mußt Ylni sein«, sagte er und vermied es höflich, seinen Blick von ihrem Gesicht abschweifen zu lassen.
»Fortune!« rief sie. »Du bist aus R’cagns Kerker geflohen, um zu mir zu kommen! Es ist Yolarabas’ Wille!«
Er antwortete mit einem ungewissen Achselzucken. Die andere war überzeugt, er sei von Nodiesop geschickt worden. »Es tut mir leid, Ylni, aber ich suche eine andere. Wenn du mir sagen würdest, wo du sie versteckthältst …«
Ihre Hand verschwand unter ihrem Rock und zog etwas Kleines und Rundes hervor, das sie auf ihn warf. Er fing das Geschoß in der Luft auf. Es war feucht und zerbröckelte in seinen Fingern wie Lehm.
»Keine andere wird dich bekommen!« rief die Hohepriesterin. »Du gehörst mir!«
Fortune hätte geantwortet, wenn der schwach süßliche Geruch weniger rasch gewirkt hätte. Noch im Zusammenbrechen wunderte er sich über diese Glanzleistung der königlichen Giftmischer …
*
Der letzte der sechsunddreißig Halunken war eingetroffen, und Llandro rief die Versammelten zur Ordnung. Auch Nodiesop war anwesend, und die drei Dutzend Diebe schienen begierig, ihn mit ihren Tageserfolgen zu beeindrucken. Webley hörte sich die stolzen Meldungen geduldig an und stieß gelegentlich ein zustimmendes Grollen aus. Er unternahm einen schwachen Versuch, den geplanten Angriff auf das Gefängnis zum Tempel umzuleiten, mußte jedoch erkennen, daß
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