Die goldene Königin
ich nun davon überzeugt.«
Die junge Frau bewegte sich nicht und spürte, wie Wolsey mit seinen Lippen über ihre Wangen strich und sie hinunter zu ihrem Hals gleiten lieÃ. Sie fühlten sich leicht wie Schmetterlingsflügel auf ihrer Haut an. Marguerite zuckte weder zusammen noch zog sie sich zurück. Seltsamerweise schämte sie sich nicht dafür, was Thomas Wolsey ihr soeben gesagt hatte. Françoisâ Mätresse und nicht seine Schwester zu sein, war das Wunderbarste, das sie sich vorstellen konnte. Wolsey sprach nur laut aus, was die anderen dachten.
»Eure Aufrichtigkeit berührt mich, aber sie überrascht mich nicht. Es sind allerdings recht kühne Behauptungen.«
»Hat man Euch das noch nie gesagt?«
»Noch nie.«
»Das glaube ich Euch nicht. Der König bewegt sich sinnenfreudig zwischen einer unscheinbaren Königin und einer oberflächlichen Mätresse, nur um Euch zu sehen.«
Die Unterhaltung nahm eindeutig nicht die vorgesehene Richtung, und einen Augenblick glaubte Marguerite, sie nicht mehr auf die rechte Bahn zurücklenken zu können. Musste dieser Wolsey sie so durcheinanderbringen, indem er ihr von der groÃen Liebe ihres Bruders erzählte? Um sie noch mehr aus dem Konzept zu bringen, lieà er auch noch seine Lippen zärtlich über ihren Hals gleiten!
SchlieÃlich beendete er sein Spiel, fasste ihre Hand und führte sie an seinen Mund. Seine Lippen waren frisch und weich. Sie übten nur einen leichten Druck aus, gerade so, dass es angenehm und nicht unredlich schien. AnschlieÃend sah er die junge Frau aus seinen blauen Augen an und suchte in ihrem Blick eine zarte Zustimmung, fand jedoch nur Erstaunen und Vorsicht.
Mit geschickter Hand bog er ihre Taille nach hinten und legte seine Lippen auf ihre. Sie lieà es zu, weil er nicht versuchte, ihre Lippen durch einen groben Angriff zu öffnen.
War sie von Sinnen? Sie glaubte es nicht. Ihre Mutter hatte unzählige Male gesagt, dass man in Staatsangelegenheiten Opfer bringen müsse! Ach, und was tat sie nicht für François! An jenem Tag lernte sie schlicht, dass die Anforderungen der Politik manchmal mit Sinnesfreuden einhergingen.
Doch schlieÃlich machte sie sich von Wolsey los.
»Kommen wir zur Sache, Eure Exzellenz. Was erwartet Ihr von mir? Seid offen, dann sage ich Euch anschlieÃend ehrlich, was ich von Euch erwarte.«
Er betrachtete sie. Zweifellos war er überrascht, wollte es jedoch nicht zeigen.
»Ich bin Erzbischof«, hob er vorsichtig an.
»Und Ihr möchtet Kardinal werden.«
»Ganz genau.«
Sie wich zurück und tastete mit der Hand nach ihrer Haube, unter der einige honigfarbene Strähnen hervorlugten. Sie dachte rasch nach. Die Schwachstelle von Wolsey lag direkt vor ihr.
»Wenn der König von England sich mit Frankreich gegen die Habsburger verbünden würde, könnte François I. Euch womöglich helfen!«
Marguerite dachte erneut einen Augenblick nach, dann fügte sie hinzu:
»Aber, ich bitte Euch, Eure Exzellenz, lassen wir die Zweideutigkeiten. Das haben wir nicht nötig, wir verstehen uns auch so.«
20.
Leider brachten die Unterredungen im Camp du Drap dâor, an die man so viele Hoffnungen geknüpft hatte, Frankreich nichts Gutes. Nachdem Heinrich VIII . in seine Heimat zurückgekehrt war, misstraute er seinem Gegner erneut, und da Thomas Wolsey nicht daran glaubte, dass er seine Kardinalsrobe von François I. erhalten würde, brachte er den König von England dazu, sich Charles Quint anzuschlieÃen.
Nach all diesen Festlichkeiten war Mathilde frei und kehrte zu ihrer Familie zurück. Endlich fand in der Kirche Saint-Pierre in Tours Valentines Trauung statt.
Ach, wie viele Erinnerungen Alix mit dieser Kirche verband! Jacquou, ihr erster Ehemann, und Florine, die Frau von Mathias, die beide der Pest zum Opfer gefallen waren, waren in dem Graben, den die Mönche hinter der Kirche für die Toten ausgehoben hatten, beerdigt worden. Gott! Wie hatten die Dörfer in jenen dunklen Tagen gelitten, wie viele Familien waren vernichtet, wie stark die Bevölkerung dezimiert worden.
Vor langer Zeit hatte Alix ebenfalls in dieser Kirche auf einer nach Bohnerwachs riechenden Bank im Chor gesessen, wo das Licht durch die bunten Fenster auf sie herabfiel. Damals hatte Alix Mathias versprochen, ihn zu heiraten, wenn sie bereit war und ihre komplizierten, belastenden
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