Die goldene Königin
zugestimmt. So hatte Briçonnet gern hinzugefügt: »Man sagt, dass Euer Bruder auf Euch hört und Euren Verstand schätzt. Ihr müsst ihm davon berichten und ihm erklären, dass wir die Religion in ihren ursprünglichen reinen Zustand zurückversetzen müssen, in dem es keine anderen Regeln als das Evangelium gab. Keine andere Verehrung als die für Christus.«
Wie hätte Marguerite nicht vollkommen einig mit Briçonnet sein können? Mit ihm, der lauthals verkündete, die Druckkunst weiterzuentwickeln, um die Bibel und die heiligen Schriften zu verbreiten. Der sich voller Ãberzeugung nach einem Staat sehnte, der nicht nur materielle Verpflichtungen einging, sondern alles infrage stellte. Alle Gebildeten sollten, ohne fünfzig oder einhundert Münzen zu zahlen, ein schlichtes Manuskript erhalten. Deshalb musste man die religiösen Texte vereinfachen.
Ach! Was für eine Reform, aber auch welch eine Gefahr und welch ein Risiko! Marguerites angeborene Vernunft gebot ihr etwas Zurückhaltung. Sollte man nicht warten, bis Guillaume Briçonnet Bischof und ihr Bruder aus Italien heimgekehrt war? Denn vorläufig bedeutete die Ãberarbeitung der Bibel und der Evangelien â und warum eigentlich nicht eine Messe auf Französisch einführen? â die reinste Ketzerei.
Die Gedanken ihres Freundes arbeiteten fortwährend in ihrem Kopf. Marguerite lieà jedes seiner Worte und jede seiner Ideen in sich reifen. »Wir brauchen die Zustimmung Eures Bruders«, hatte Briçonnet, überzeugt von der Richtigkeit seiner Vorschläge, gesagt. »Wir erklären ihm, dass ich die Texte des Konkordats bearbeite.«
Marguerite hatte ihn angesehen. »Kennt Ihr denn alle Vorzüge des Konkordats?«
»Ich kenne auch alle Schwächen«, hatte er erwidert und sich mit seiner etwas schlaffen Hand über die Stirnglatze gestrichen.
Plötzlich war Marguerite eine äuÃerliche Kleinigkeit aufgefallen und hatte sich in ihre Gedanken gedrängt. Deshalb hatte sie nur erwidert: »Werden wir in dem Konkordat die Ideen von Eurem Luther wiederfinden?« Daraufhin hatte der Prälat den Kopf geschüttelt, jedoch nichts erwidert.
Die Duchesse dâAlençon hatte ihm voller Zustimmung zugehört und ihm versprochen, seine Ideen dem König vorzustellen. Aber sie hatte mit ihm auch über ihre tiefe Verwirrung gesprochen, über ihre Verzweiflung, die sich häufig wie ein übermächtiger Schatten auf sie legte. Sie hatte ihm anvertraut, wie sehr sie es bedauerte, kein Kind zu haben, und dass sie keine tieferen Gefühle für ihren Mann hegte, den sie weder liebte noch verabscheute. Sie hatte ihm von ihrem belanglosen, leeren, unbedeutenden Eheleben erzählt.
Sie hatte ihm gestanden, dass sie, angeregt von religiösen und weltlichen Texten, den innigen Wunsch verspürte zu schreiben. Alles aufzuschreiben, was sie wahrnahm und empfand. Das Schreiben füllte eine Leere und gab ihr die Ausgeglichenheit, die sie zum Leben brauchte.
SchlieÃlich hatte sie ihm anvertraut, dass das strenge Leben in Alençon sie deprimierte und zugleich entspannte. Dass sie der Feste bei Hofe manchmal überdrüssig war und dann nur François zuliebe dennoch an ihnen teilnahm.
Lange hatte sie dem Geistlichen ihr Herz ausgeschüttet. Auch er brannte für eine Sache, nämlich die Reform der Religion. An jenem Abend hatte Marguerite den Ideen Briçonnets voll und ganz zugestimmt und ihn sogar zu dem aussichtslosen Unterfangen ermuntert, der Sorbonne zu schreiben.
Im Stall traf sie Blanche, die sich mit Philibert unterhielt.
»Blanche, ich wusste gar nicht, dass Ihr auf seid«, sagte sie fröhlich.
»Die alte Schachtel hat nach Euch verlangt, Marguerite.«
Die junge Frau seufzte.
»Ich komme gerade von ihr. Sie wollte mir die Gegenwart von Dame de Breuil aufdrängen.«
Blanche lächelte, fragte jedoch nicht weiter nach.
»Ihr fahrt nach Argentan, nicht wahr?«
Marguerite nahm die Zügel, die Philibert ihr reichte.
»Ich werde vor dem Abend zurück sein.«
»Haben diese Ausflüge etwas zu bedeuten, Marguerite? Was bringen sie Euch? Ihr haltet mich nicht über Eure Fahrten auf dem Laufenden. Und vergesst nicht, dass Mathilde jeden Augenblick eintreffen kann. Ihr solltet Euch ein bisschen um sie kümmern.«
»Ein bisschen! Nein, Blanche. Ich freue mich viel zu sehr auf die Kleine, als dass ich
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