Die goldene Königin
Wagen ständig aus dem Gleichgewicht. Der StraÃenrand war stark ausgewaschen, und die Räder konnten jeden Augenblick dort hineinrutschen.
»Diese tiefen Löcher machen mir Sorge. Wie sollen wir nach Lyon kommen?«, fragte Louise beunruhigt. Sie war ausgestiegen, während der Kutscher das Gespann zurück in die Mitte der StraÃe lenkte.
»Machen wir uns nicht verrückt«, antwortete Semblançay, den Louise gebeten hatte, sie zu begleiten. »Der König wird Pavie erst Ende des Jahres verlassen. Das gibt uns genug Zeit, nach Marseille zu gelangen.«
»Es heiÃt, dass wir ihn in Sisteron treffen«, schaltete sich Marguerite ein, die ebenfalls ausgestiegen war.
»Ist das weit entfernt?«, fragte Mathilde, die in der Kutsche von Blanche und Dame de Breuil saà und sich dort ganz klein machte.
Am liebsten wäre sie zur Königin in den Wagen gestiegen, den diese mit Marguerite und ihrer Mutter teilte. Aber sie wusste, dass derartiger Eigensinn nicht gut angesehen war, also beschränkte sie sich auf ein paar weitere Fragen.
»Kommt der König hierher, wenn das schlechte Wetter uns aufhält?«
»Bestimmt«, erwiderte Blanche. »Aber wir werden bald in Lyon sein und dann nach Grenoble weiterfahren. Unsere Reise ist also schon fast zu Ende.«
Trotz ihrer Freude begann Mathilde sich zu sorgen.
»Meine Mutter soll uns in Lyon treffen. Was soll sie tun, wenn wir nach Grenoble weiterfahren?«
»Macht Euch keine Sorgen, Mathilde«, erwiderte Blanche und lächelte dem jungen Mädchen aufmunternd zu. »Eure Mutter wird unseren Aufenthaltsort umgehend erfahren und zu uns kommen.«
Einen Augenblick betrachtete sie die junge Mathilde. Gott! Wie sich das Mädchen verändert hatte. Sie war groà geworden, und reif. Das war Marguerite in ihrer Aufregung sicher gar nicht aufgefallen. Mathilde war eindeutig kein Mädchen mehr, sondern eine junge und schöne Heranwachsende von schlanker, eleganter Gestalt. In letzter Zeit hatte ihre Mutter es tatsächlich geschafft, sie mehr bei sich zu behalten, um ihre Verwandlung allein mitzuerleben, die im Ãbrigen völlig normal war. Ihre Zwillingsschwester Valentine musste sich in gleicher Weise verändert haben.
Blanche lächelte Mathilde an, dann wendete sie abrupt den Kopf. Ein Schrei zwang den Zug plötzlich zum Anhalten. Der Wagen, der die Ammen und die kleine Charlotte beförderte, war gefährlich in den StraÃengraben abgerutscht.
Königin Claude stürzte im selben Augenblick wie Mathilde ins Freie.
»Meine Tochter! Meine Tochter!«, schrie sie und eilte zu den Ammen, die sich schützend über das Kind in ihrem Schoà beugten.
»Majestät!«, rief Mathilde, »wenn Euch der Regen den Rücken durchnässt, werdet Ihr Euch erkälten. Ãberlasst das mir. Bringt Euch in Sicherheit.«
Doch bei der jungen Königin setzte sich der Mutterinstinkt durch. Sie wollte nur noch ihre Tochter in den Armen halten, alles andere war unwichtig. Als die Kutsche immer weiter in den Graben rutschte, reichten die durchnässten, klagenden und weinenden Ammen ihr schlieÃlich das Kind.
Doch Claude glitt auf dem glatten Boden aus, und Mathilde, die hinter ihr stand, konnte gerade noch rechtzeitig das Kind auffangen. Sie nahm es und drückte es schützend an sich. Es jammerte und weinte nicht, sondern betrachtete friedlich die Menschen, die sich um es herum versammelten.
Die Hände über dem Kopf, um sich gegen den Regen zu schützen, der mit unverminderter Härte die Jahreszeit einläutete, liefen Louise und Marguerite herbei.
Als sie sahen, dass Mathilde das Kind sicher in Armen hielt, eilten sie zur Königin, die sehr erschrocken über ihren Sturz war. Sie halfen ihr mühelos auf, aber Claude ergriff Panik, und sie blickte mit angstgeweiteten Augen zu ihrer Tochter, die die junge Frau an sich drückte.
»Schnell, Mathilde, steigt in die Kutsche«, rief Louise energisch.
Mathilde ergriff die günstige Gelegenheit beim Schopf und kletterte fröhlich in den königlichen Wagen. Es handelte sich um eine geräumige Kutsche mit vier Plätzen, die mit blaugeblümtem Samt gepolstert war. Sie wiegte Charlotte in den Armen, die schlieÃlich einschlief und das verrückte Abenteuer vergaÃ.
Als Mathilde eine warme Decke über den kleinen Körper des Kindes breitete, hörte sie, wie Louise Jean-Baptiste und den anderen
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