Die goldene Königin
Properzia sich in der herrschaftlichen Robe von Alix zeigte, stellten plötzlich alle fest, dass sie eine äuÃerst schöne Frau war. Die Ãberraschung war groÃ, denn obwohl man sie noch nicht kannte, war allen ihre ungewöhnlich männliche Kleidung aufgefallen, die Mathias mit Neugier betrachtet hatte.
Die beiden Frauen verbrachten den Tag in der Werkstatt, wo Alix ihrer Freundin das ganze Personal vorstellte. Nachdem Properzia alle begrüÃt hatte, betrachtete sie die Arbeiten, die auf die Webstühle gespannt waren. Triumph des Sommers, Die königliche Jagd, Die Fabeltiere und eine Wandbespannung gigantischen AusmaÃes, auf der die zwölf Monate des Jahres vorüberzogen.
»Ihr sagt ja gar nichts, Properzia? Enttäuschen Euch diese Tapisserien?«, erkundigte sich Alix mit plötzlich ängstlichem Blick.
»Nein, aber â¦Â«
»Nein, aber was? Habt Ihr etwas anderes erwartet, Properzia?«
»Ich weià nicht, diese Zeichnungen entsprechen nicht der reinen Renaissance.«
Sie deutete mit dem Finger auf einen der Teppiche.
»Vielleicht Eure Fabeltiere . Aber wenn ich die Kartons gezeichnet hätte, hätte ich ihnen einen realistischeren, einen authentischeren Ausdruck verliehen.«
»Zum Beispiel?«
»Unter der Haut der wilden Tiere muss sich ihre Muskulatur abzeichnen. Ihr müsst Euch daran gewöhnen, Schatten und Licht herauszuarbeiten. Schattierungen sind unabdingbar. Ohne sie könnt Ihr nicht vorankommen.«
»Ich traue mich noch nicht, mich von gewissen Gewohnheiten zu lösen.«
»Ich bringe es Euch bei. Auch die Gesichter müsst Ihr ausdrucksvoller gestalten. Im vergangenen Jahrhundert bestand die Aufgabe des Künstlers darin, das Auge ins richtige Licht zu setzen oder dem Mund den richtigen Ausdruck zu verleihen.«
Properzia fuhr fort:
»Ich habe es Euch gesagt, Alix, heute bilden die Maler lebendige Gesichter ab. Die Blicke sind nicht mehr starr. Sie stellen nackte Arme dar, die aus einer Tunika hervorlugen, sowie entblöÃte Knie. Wir werden unverzüglich den Unterricht fortsetzen, mit dem wir bereits begonnen haben. Wollt Ihr?«
»Unbedingt. Man muss sich weiterentwickeln.«
Dann fügte sie lachend hinzu:
»Ich lege keinen Wert darauf, dass Leonardo da Vinci sich über mich lustig macht.«
»Das wird er nicht, denn er weiÃ, dass Ihr talentiert seid, auch wenn Eure Kunst noch nicht der des neuen Jahrhunderts entspricht.«
»Ich setze alle meine Hoffnung auf Euch, Properzia.«
Im Hinausgehen sagte sie:
»Kommt, jetzt zeige ich Euch Eure Räumlichkeiten.«
Ganz am Ende der Gebäude, in dem sich die Werkstätten und das Verkaufskontor befanden, lag hinter einem kleinen Hof ein groÃer luftiger heller Raum, dessen Dach allerdings zum Teil durchlässig war.
»Wir werden ihn komplett erneuern. Ich habe mit dem Beginn nur bis zu Eurer Ankunft gewartet. Ein Strohdach macht den Raum zu dunkel, wir werden ein festes Lehmdach legen, und wegen der Einrichtung â¦Â«
»Ich brauche keine besondere Einrichtung. Ich esse und schlafe in meiner Werkstatt. Ein guter bequemer Strohsack, ein Kopfkissen und ein Federbett zum Schlafen, ein Tisch zum Essen, ein Hocker, eine Schale, eine Schüssel und ein paar Teller. Das reicht mir. Dann bin ich die glücklichste Frau auf Erden.«
»Aber, Properzia, Ihr werdet den Komfort vermissen.«
»Wenn ich mit meinen Skulpturen beschäftigt bin, vermisse ich keinen Luxus. Ich will gleich an mehreren gleichzeitig arbeiten und mich durch nichts ablenken lassen.«
Sie inspizierte den riesigen Raum, durch den der Wind pfiff. Ein anständiges Dach würde Wasser, Wind und Kälte abhalten.
»Meine Bildhauerausrüstung wird noch geliefert. Bei meiner Abreise habe ich von meinem restlichen Geld Blöcke aus Marmor und Sandstein gekauft sowie Gips für die Zierleisten und Karton für meine Zeichnungen.«
»Und das Werkzeug? Brauchst du etwas?« Alix hatte beschlos sen, wieder das vertrauliche »Du« zu verwenden, wie es Properzia bei ihrer letzten Begegnung ebenfalls getan hatte.
Properzia lächelte.
»Nein, das kommt auch. MeiÃel, Hammer, Stemmeisen, S enkblei, Zirkel und WinkelmaÃ. Sorge dich nicht. Nachdem ic h dir die Ausgaben schon nicht ersetzen kann, musst du wenigstens nur für mein Essen aufkommen.«
11.
Während Mathilde in Brissac noch damit rang, dass ihre Schwester
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