Die Goldenen Regeln des friedvollen Kriegers
hereinkommen. Sie gab mir einen Schlüssel und einen Ring zurück, den ich ihr geschenkt hatte, und sagte, sie wolle einen Mann namens Bob heiraten und mit ihm in Europa leben. Wir haben nur kurz miteinander gesprochen. Dann ging sie wieder. »
Obwohl Ted in einfachen Worten und ganz «objektiv» das Geschehene beschrieb, war mir, als ich ihn dabei beobachtete, klar, daß die Sache ihn immer noch belastete, denn wie nicht anders zu erwarten, bedrückten seine Assoziationen und Gefühle ihn nach wie vor. Manchmal muß man eine Geschichte eben viele Male erzählen, ehe die gefühlsmäßige Belastung verschwindet. Aber Ted war wenigstens bewußt geworden, woher diese Belastung kam-von den Ansichten und Überzeugungen, in denen er gefangen war.
Er wiederholte die Geschichte noch einmal und wirkte jetzt schon ein bißchen entspannter. Er hat sie noch oft erzählt. Beim letzten Mal lächelte er sogar, als ihm klar wurde, daß er mit seinen Worten das tatsächliche Ereignis beschrieb und den Rest nur erfunden hatte. Als Ted das erkannte, war er erleichtert und wie erlöst.
Interessanterweise löst diese Übung oft starken inneren Widerstand aus. Der Haupteinwand ist, daß objektive Aussagen «kalt» und bar jeder «echten Emotion» wirkten. Das hängt natürlich davon ab, wie man Emotion definiert. Je weniger unsere Wahrnehmung eines Ereignisses von Emotionen getrübt ist, zu um so tieferen Gefühlen sind wir in Wirklichkeit fähig.
Ted entdeckte, daß im Grunde nichts von dem, was Sally getan hatte, verletzend gewesen war. Hätte er mit ihr Schluß machen wollen, aber nicht gewußt wie, dann hätte er ihre Neuigkeit mit Freude und Erleichterung aufgenommen. Die Verletzung entsprang aus seiner eigenen geistigen Verfassung – seinen Wünschen und Vorstellungen –, nicht aus Sallys Verhalten.
Sally hat Ted weder geschlagen noch getreten noch seinen Ring mitgenommen. Sie hat ihn weder angeklagt noch lächerlich gemacht. Ted litt nur unter den Auswirkungen seines eigenen Denkens.
Er erkannte schließlich den Wert dieses Erlebnisses: Er hatte daraus etwas über sich selbst gelernt. Wie ein friedvoller Krieger begann er nun, die Probleme des täglichen Lebens zu nutzen, um daran zu wachsen – Schmerz in Weisheit zu verwandeln.
Dieser erste große Schritt zur Erkenntnis der objektiven Realität mag zwar sehr einfach erscheinen, aber er ist keineswegs leicht. Die Illusionen unseres Denkens zu durchbrechen ist wie die Wanderung durch einen Dornenwald. Bei manchen Menschen erfordert dieser Prozeß jahrelanges bewußtes Bemühen. Aber manchmal kommen wir auch plötzlich und ganz zufällig mit der Realität in Kontakt.
Zurück zur Realität
Eines Tages erwachte ich aus einem tiefen Schlaf. Ich schlug die Augen auf, wußte aber nicht, wo ich war. Ich fand mich überhaupt nicht mehr zurecht. Nichts schien einen Sinn zu ergeben. Ich blickte zur Decke und begriff nicht. Ich starrte auf die Uhr und sah die Zahlen, aber ich wußte nicht, was sie bedeuteten. Ich sah aus dem Fenster und begriff nicht. Ich schaute auf den Fußboden und begriff nicht.
In meiner Verwirrung tastete ich mich ins Badezimmer. Ich hoffte, ein heißes Bad würde mir helfen. Ich drehte den Heißwasserhahn auf, vergaß aber, auch das kalte Wasser aufzudrehen. Während das Wasser einlief, gelang es mir irgendwie, mich von meinen Kleidern zu befreien; doch dann verlor ich das Gleichgewicht und fiel rückwärts, mit dem Hinterteil zuerst, in das siedendheiße Wasser. Und plötzlich begriff ich.
Physischer Schmerz bringt uns wieder mit der objektiven Realität in Berührung und erinnert uns daran, wo die Prioritäten liegen. Aber ich empfehle niemandem, das auszuprobieren.
Zwei Arten von Wissen
Jede der beiden Realitäten, die objektive und die subjektive, geht mit einer anderen Art Wissen einher. Zum objektiven Bereich gehört das praktische Wissen, das wir im Leben nutzen können – zum Beispiel, wie man einen tropfenden Wasserhahn repariert oder daß man erst nach rechts und links schauen muß, ehe man
über die Straße geht. Zu diesen objektiven Informationen gehören auch praktische Grundsätze des täglichen Lebens, mit deren Hilfe wir unseren Horizont erweitern, humorvoller oder für andere Menschen wertvoller werden und dafür sorgen können, daß unser Leben besser funktioniert.
Der Bereich des Subjektiven dagegen ist mit «reinem Wissen» und abstrakten Ideen verbunden. Ich habe gelernt, an alle Informationen folgende Fragen zu stellen: Wie kann
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