Die Goldhaendlerin
müssten.« Er sah Orlando mit einem hoffnungsvollen Lächeln an. »Könnt Ihr vielleicht auch mir etwas beibringen?«
Orlando klopfte ihm gönnerhaft auf die Schulter. »Freilich, Jochanan. Vier Fäuste sind immer besser als zwei. Aber nun beeilt euch mit dem Essen, denn wir wollen heute noch aufbrechen.«
Lea ärgerte sich, dass Orlando sie nicht nur begleiten wollte, sondern sich auch gleich zum Anführer der kleinen Gruppe aufgeschwungen hatte, aber sie wusste nicht, was sie dagegen tun konnte. Sie war wegen des Weinprivilegs und der neuen Handelsverbindungen, die sie über ihn knüpfen wollte, vorerst auf sein Wohlwollen angewiesen und musste für eine Weile gute Miene zum bösen Spiel machen.
In ihren Gedanken überschlug sie die Strecke nach Worms. Sie würden mindestens drei, vielleicht sogar dreieinhalb Wochen unterwegs sein. So lange würde sie den Mann ertragen müssen, ganz gleich, wie schwer es ihr fallen mochte. Sie nahm sich vor, die Zeit zu nutzen und so viel wie möglich von ihm lernen. Wenn es ihr gelang, ihm den einen oder anderen Tipp zu entlocken, der den Handel mit Leuten außerhalb der ihr bekannten jüdischen Gemeinschaft betraf, mochte sich der ihr noch bevorstehende Ärger sogar bezahlt machen.
5.
Zwei Wochen später war Lea am Ende ihrer Kraft. Ihr Körper schien nur noch aus Abschürfungen und blauen Flecken zu bestehen, die sie sich bei den Kampfübungen mit Orlando zugezogen hatte, und unter ihrem linken Auge verblasste ein Veilchen, das ihm seit mehreren Tagen Anlass zu Spott gab. Ihr wäre es ein Hochgenuss gewesen, auch einmal sein Gesicht zeichnen zu können, doch all ihre Versuche scheiterten an der in ihren Augen fast übermenschlichen Leichtigkeit, mit der er ihren Angriffen auswich oder sie so unterlief, dass sie diejenige war, die wieder einmal im Dreck saß und nicht wusste, wie ihr geschehen war.
Zwar beschränkten die Selbstverteidigungsübungen sich auf die wenigen Stunden, die sie unterwegs auf stillen Waldlichtungen abseits der Straßen verbringen konnten, doch Ruhe fand Lea nur während der kurzen Nachtstunden. Orlando traktierte sie beinahe ununterbrochen mit Sprachunterricht, so dass ihr der Kopf schwirrte, weil er so viele neu gelernte Worte, Redewendungen und Sätze in Italienisch, Spanisch, Französisch und gelegentlich auch in Latein aufnehmen musste. Schon wenige Stunden nach ihrem Aufbruch hatte Orlando begonnen, sich als unerbittlicher Zuchtmeister aufzuführen, der Lea ohne Vorwarnung mit Anweisungen und Fragen in einer anderen Sprache traktierte und ihr, wenn sie nicht rasch genug die richtige Antwort darauf wusste, zur Strafe eine Kopfnuss verpasste oder einen Knuff gegen den Arm. Abends beim Einschlafen malte Lea sich aus, wie sie es diesem impertinenten Menschen irgendwann einmal heimzahlen würde, tat es aber stets in einer anderen Sprache, um in Übung zu bleiben. Ein paarmal hatte sie ihrem Peiniger Beleidigungen in verschiedenen Sprachen ins Gesicht geschleudert und war prompt wegen ihrer flüssigen Aussprache gelobt worden.
Jochanan hatte sich weitaus weniger schinden lassen müssen als sie. Allerdings war er mit dem kleinsten Lob für seine Versuche zufrieden, sich Orlandos Ringergriffen zu entziehen, und er besaß nicht den geringsten Ehrgeiz, seinen Lehrmeister übertreffen zu wollen. Bei den Sprachen tat er sich im Gegensatz zu Lea schwer, würde aber, wie Orlando es ausdrückte, in Zukunft weder in Spanien noch in Italien, Frankreich oder Burgund verhungern, solange er noch Geld besaß, um sich etwas kaufen zu können.
Da sie an diesem Tag die kleine Stadt Hannosweiler erreichen wollten, hatten sie ihre Übungen etwas abgekürzt, was auch daran liegen mochte, dass Orlando ausnahmsweise Rücksicht auf Leas Verletzungen nahm. Diesmal war sie bei einer überhasteten Attacke auf ihn etwas zu schwungvoll auf ihrem Hinterteil gelandet und hatte sich die rechte Hüfte geprellt. Nun humpelte sie mit zusammengebissenen Zähnen hinter ihren Begleitern her und fluchte stumm über ihren Quälgeist, der sie wieder einmal ausgelacht und verspottet hatte.
Während Orlando hurtig ausschritt, um die gute halbe Meile nach deutscher Rechnung schnell hinter sich zu bringen, blieb Jochanan stehen, um auf seine Herrin zu warten und sie zu stützen. Orlando war fast schon außer Rufweite, als er bemerkte, dass die anderen ihm nicht so rasch folgen konnten, und drehte sich kurz nach ihnen um. »Ihr findet mich im ›Blauen Karpfen‹. Soll ich schon etwas für
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