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Die Goldhaendlerin

Die Goldhaendlerin

Titel: Die Goldhaendlerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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einen Bader in der Stadt haben, der Knochen einrichten kann.«
    Gretchen schob sie von sich weg, zog sie dann aber wieder an sich und umarmte sie tröstend. »Der Bader Bruno ist als einer der Ersten ins Judenviertel eingedrungen und wird seine ›Heldentaten‹ jetzt im Wirtshaus feiern. Wenn er von euch erfährt, haben wir ihn und seine betrunkenen Freunde am Hals. Ich mag nicht daran denken, was die mit uns Frauen anstellen werden, bevor sie uns die Kehle durchschneiden.«
    Lea holte tief Luft und ließ die Schultern sinken. Sie hatte es Gretchen zu verdanken, dass sie und Rachel überhaupt noch lebten, und sie durfte nichts unternehmen, was die Freundin und damit auch sie und ihre Geschwister in Gefahr brachte.
    »Kannst du mir heißes Wasser und Leinwand besorgen, und dazu mehrere feste Stöcke wie diesen Besenstiel dort? Ich werde Elieser versorgen, so gut ich es kann. Wenn Gott mir gnädig ist, wird er überleben.«
    »Du bekommst alles, was ich dir besorgen kann, und ich werde auch für deinen Bruder beten.«
    Gretchen kletterte die Treppe hinauf, deren Falltür jetzt offen geblieben war. Kurz darauf reichte sie Lea einen Korb voll Verbandsmaterial und einen Krug heißen Wassers und kletterte mit einigen Stöcken und schmalen Brettern zu ihr hinab.
    Lea wies ihre Schwester an, die blass und zitternd in der Ecke stand, ihnen die Lampe zu halten, und machte sich zusammen mit Gretchen ans Werk. Sie besaß eine gewisse Erfahrung mit Wunden und Brüchen, denn zu Hause hatte sie schon Katzen und Hunde verarztet und einmal sogar eine Eule, die sich auf ihren Speicher verirrt und bei ihren wilden Fluchtversuchen verletzt hatte, aber nie zuvor aber hatte sie ihre Fähigkeiten an einem Menschen ausprobiert. In dieser Stunde, in der ihre Welt in Trümmer gefallen war, schienen ihre Hände jedoch wie von selbst zu wissen, was sie zu tun hatten.
    Eine Stunde später waren Eliesers Knochen geschient, und saubere Verbände bedeckten seine Wunden. Trotz seiner Erschöpfung hielten die Schmerzen ihn jetzt wach, er warf den Kopf hin und her, murmelte ununterbrochen vor sich hin und schien seine Schwestern nicht zu erkennen. Lea flößte ihm Wasser ein, das er brav schluckte, und stellte dabei fest, dass sein Körper glühte. »Wir brauchen fiebersenkende Arzneien und Mohnsaft, damit er die Schmerzen nicht so spürt.«
    Gretchen zog ängstlich den Kopf ein. »Peter wird mich auch nicht zur Apotheke gehen lassen, aber ich will sehen, was wir noch im Haus haben.«
    Lea hatte wenig Hoffnung, dass ihre Freundin die richtigen Säfte und Kräuter vorrätig hatte, blickte dann aber verblüfft auf die Flaschen und Tiegel, die Gretchen in ihrem Korb heranschleppte. Ihre Schwiegermutter, erklärte ihr die Freundin, war erst im letzten Monat nach einem schweren Sturz von dem jüdischen Arzt behandelt worden, und so waren noch eine halbe Flasche des Tranks, der gegen Fieber helfen sollte, etwas Mohnsaft und die Reste verschiedener Salben vorhanden. Zum Glück hatte der Arzt die Wirkung der Mittel in Hebräisch auf den Tiegeln notiert, so dass Lea lesen konnte, wie sie sie anzuwenden hatte.
    Als Elieser endlich versorgt war, dämmerte bereits der Morgen herauf, und man konnte hören, wie Gretchens Mann und ihre Schwiegermutter aufstanden und sich anzogen. Gretchen zuckte beim ersten Geräusch zusammen, kletterte eilig aus dem Keller und kehrte, bevor sie jemand hindern konnte, mit einer frischen Kerze für die Lampe und weiteren Decken für Lea und Rachel zurück. Dann drückte sie die Freundin noch einmal an sich und verließ das Gewölbe mit so müden Bewegungen, als würde sie auf der Stelle einschlafen.
    Während sich Rachel in einer sauberen und halbwegs trockenen Ecke des Kellers zusammenkauerte und trotz der schrecklichen Ereignisse des Tages bald einschlief, hockte Lea auf der Stiege und biss sich die Fingerkuppen wund, um über dem Schmerz das Entsetzen und die Trauer über ihren Verlust ertragen zu können. Sie durfte sich nicht ihrem Kummer hingeben, sondern musste all ihre Kraft und ihren Mut zusammennehmen und einen Weg finden, ihre beiden Geschwister heil nach Hause zu bringen, auch wenn ihr das eine Aufgabe zu sein schien, die sogar einen Helden wie Samson oder David überfordert hätte.

4.
    In den nächsten Tagen fühlte Lea sich in einem nicht enden wollenden Albtraum gefangen, der von Eliesers Stöhnen und Jammern und Rachels Klagen erfüllt war. Sie sehnte sich nach frischer Luft und Bewegung, doch Pfeiffer und seine

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