Die Goldmacherin Historischer Roman
vor sich hin, von einer besseren Zeit.
Aurelia wanderte zielstrebig auf den großen Berg zu. Die Luft roch faulig, selbst die Krähen flogen in weiten Kreisen
übers Land – das waren keine gute Zeichen. Dieses Jahr würde der Winter früh und hart einbrechen.
Beppo spitzte die Ohren und hob den linken Zeigefinger. »Da kommt ein Fuhrwerk. Und Leute singen.«
»Dort lang.« Gundi sprang schon über Ackerfurchen zu einem halbkahlen Buschwerk. Mehr Deckung gab es nicht.
»Besser, wir legen uns auf den Bauch«, sagte Aurelia, auch wenn dann ihre Kleider wieder feucht von der Erde würden.
Dann hörte sie es auch. Männerstimmen sangen. Zwei Wagen rollten vorbei, von mageren braunen Feldpferden gezogen, auf der Lade lagen graue Hanfsäcke und hohe Bündel. Vier Bauern in Festtagskleidern saßen auf den Böcken, drei hielten eine Harke, einer ließ einen Rosenkranz durch die Finger gleiten und betete: »Ach Gott, wem soll ich klagen, das heimlich Leiden mein! Mein Buhl ist mir verjaget, bringt meinem Herzen Pein.«
Gundi verbarg wie immer ihr Gesicht vor Fremden. Beppo runzelte die Stirn.
So sahen Zehntfahrer aus, die abliefern mussten. Verspätet wohl, aber wer weiß, ob in diesen Kriegszeiten der ErnteDank so richtig eingehalten wurde.
»Fahr zu, Gossel. Bei den Nonnen in Rosenthal können wir kein Nachtlager finden!«, rief der Kutscher des zweiten Wagens.
»Du vielleicht nicht. Wärst du Adelsmann, dann schon. Schon mancher Ritter hat dort sein Zaumzeug gewichst bekommen.«
Die Männer lachten derb. »Fahr zu, Gossel. Am Kreuzweg nach rechts ins Tälchen, das wirst du noch finden. Oder hast du die dicke Sanne von der Tenne schon vergessen?«
Wieder lachten die Männer und schaukelten auf den Wagen außer Sicht.
Gundi streckte ihr die Hand hin, als Aurelia aufstand und
Beppo angestrengt lauschte. »Keiner sonst, der Weg ist frei«, sagte er.
Aurelia ging hinter den Kindern zurück zum Weg. Wenn dort ein Nonnenkloster hinter den Hügeln lag, könnten sie vielleicht um Aufnahme bitten und für den Winter Hilfe finden. Sie überlegte, ob sie es wagen sollte, auch wenn sie niemals Nonne werden wollte. Mutter hatte sie ausgeschimpft, wenn sie nicht die Wahrheit gesagt hatte, als sie selber so klein wie Beppo war. Nur in der Not sind Lügen erlaubt. Doch sie konnte sich eine Geschichte zurechtlegen. Aurelia seufzte. Die Klostermauern mochten wohl ihr Schutz gewähren. Aber für die beiden Kinder war das keine Lösung.
Ein Steinkreuz wies an einer Biegung den Weg ins Tälchen, und auch der steinerne Steg über den Bach verriet eine waltende Aufsicht. Die abgeernteten Felder um das Kloster gehörten sicher den Nonnen. Aurelia entschloss sich, dort um Hilfe zu bitten. »Wir gehen dort entlang.« Die Kinder folgten klaglos.
Der schmalere Weg schien ihr nicht mehr so ausgefahren und kurvig wie die Landstraße nach Göllheim hin. Den Ort wollte sie lieber nicht betreten. Zu viele einzelne Männer zu Pferd waren in den letzten Stunden schnell an ihnen vorbeigeritten. Boten sicherlich, für Herren, die sich nicht ums Volk scherten.
»Da vorne sind Leute!« Beppo zog sie an der Hand, Gundi lief schon ins Gestrüpp.
»Wartet, es ist nicht mehr gefährlich.« Aurelia ging weiter auf die Sandsteingebäude zu, die sich rot vor einem dunklen Waldstück abhoben. »Man sieht uns bestimmt vom Kloster aus.« Sie winkte Gundi zu, wieder aus den Büschen zu kommen.
Aurelia hatte schon größere Klöster gesehen. Hier formten zweistöckige Steinhäuser ein Geviert, das bestimmt den Kreuzgang
ausmachte. Niedrigere Gebäude, manche mit Holzschindeln, manche mit Ziegeln gedeckt, standen dahinter. Die ganze Anlage war von einer Mauer umfriedet. An den Weidenbäumen erkannte sie, dass davor wohl ein Bach entlangfloss.Wenn das Kloster so viele Gesindehäuser brauchte, lebten hier gewiss ein paar Dutzend Nonnen.
»Was machen die vielen Leute dort?«, fragte Gundi. Seit zwei Tagen schaute sie Aurelia beim Sprechen nicht mehr so verschüchtert an. Die blauen Augen waren klug, die Kratzer auf den Wangen schon verschorft.Wie durch ein Wunder hatte Gundi kein Fieber bekommen, wiewohl sie noch immer in Lumpen lief.
»Sie geben den Zehnten ab.«
»Was ist ein Zehnt?«, fragte Beppo an ihrer Hand.
»Weißt du doch«, sagte Gundi streng. »Vater hat immer vier Räder und zwei Deichseln an den Grafen liefern müssen.«
Beppo sprach nicht gern von seinen Eltern. Es schien Aurelia, als ob der Junge mit dem Schweigen die Erinnerungen an
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