Die Goldmacherin Historischer Roman
fast laut geworden.
»Tinkturen sind etwas anderes, sie …«
»Was wendest du mir, einer Hausmeierin von Stand, das Wort?«
»Belehre uns nicht, kleine Novizin.« Senta schlug mit der flachen Hand auf den rohen Tisch.
»Du wirst die Marientränen brauen und in diese«, Enhardis deutete mit der Hand neben sich, »kleinen Tontiegelchen einfüllen.«
»Das wage ich nicht«, erwiderte Aurelia erschrocken.
»Aber dem Wort deiner Äbtissin wagst du dich zu widersetzen?«, keifte Ruth.
Enhardis hielt ihr schon die ausgestreckte Hand mit dem Amtsring zum Kuss hin.
Aurelias Knie wurden weich, die Geste forderte den gelobten Gehorsam; schon zweimal hatte sie gesehen, wie sich Nonnen so dem Willen Enhardis’ unterwerfen mussten.Wollte sie in Rosenthal bleiben und den bitterkalten Winter überleben, so musste sie jetzt niederknien.
»Nun? Erkennt die Novizin ihren Fehler oder nicht?«
Der Rubin war wie eine Rose geschliffen. Aurelia ging in die Knie, fasste die weiße, kalte Hand und küsste den Ring. »Ich gehorche«, flüsterte sie. Aber nur notgedrungen , dachte sie, als sie den Kopf senkte. Sie würde nach einem Ausweg suchen, die Rezeptur abmildern, irgendetwas …
»In meinem Kloster herrscht Zucht, merke dir das.« Enhardis fasste sie am Kinn. Der Blick ihrer grauen Augen bohrte sich in Aurelia. »Du wirst Schwester Mechthild deine Rezeptur übergeben. Sie wird die Marientränen an deiner statt brauen, damit du mir keine Dummheiten machst. Nur beim Abfüllen wirst du ihr zur Hand gehen.« Mit einem dünnen Lächeln wandte sie den Blick zu Ruth und Senta. »Bis dahin aber wird unsere aufmüpfige Novizin den Schafstall ausmisten helfen.« Sie stieß Aurelias Kopf zur Seite. »Damit fängst du sofort an.«
Die Äbtissin ging aus dem kleinen Gewölbe, Ruth und Senta folgten auf dem Fuß.
»Lösche die Talglichter, Aurelia. Wir haben nichts zu verschwenden. Merk dir das.« Enhardis’ Worte klangen vom Kellerhals seltsam gedämpft, wie das Echo einer bösen Vorahnung, gar nicht wie die Stimme eines Menschen.
Aurelia stand auf.Was sollte sie nur tun? Mechthild hatte sie die genaue Rezeptur schon verraten, die kluge Nonne hätte sie sich sowieso abgeschaut. Die Marientränen, Vaters Allgegengift, durften nicht in unkundige Hände gelangen.Vielleicht konnte sie ja Mechthild überzeugen, bis zum Frühjahr möglichst wenig von dem Heilmittel zu brauen.
17
E ine gute Woche lang schon musste Aurelia machtlos mit ansehen, wie Mechthild bis Mitte Januar die Marientränen nach Vaters Rezept braute. Alle ihre Warnungen hatten nichts gefruchtet. Die alte Apotheker-Nonne hatte nicht auf Aurelias Einwände hören wollen, dass die Tropfen in einer ätherischen Lösung gefährlich giftig werden könnten. Sie hatte sich vor dem hohen Regal mit den Vorratsurnen nur umgedreht und die Hände in die Hüften gestemmt. Du sorgst dich zu sehr, hatte sie gesagt. Ich habe schon so viele Fläschchen Heiltränke in meinem Leben abgefüllt. Kind, warum vertraust du mir nicht?
Nach der Frühmesse am Konvent zog Aurelia die Überschuhe aus grobem Leder über die Füße. Niemand konnte sich erinnern, dass es Mitte Januar jemals getaut hätte, aber ein seltsam warmer Wind hatte in den letzten Tagen den Schnee aufgeleckt. Im Hof standen noch Pfützen, die graubraune Erde war schon wieder weich unter dem Tritt.
Aurelia betrachtete die Schwielen an ihren Händen, als sie über den Klosterhof zum Flachshaus ging. Wieder würde sie den ganzen Tag das neu gewobene Leinen bügeln. Mechthild hatte nach dem Verbot der Äbtissin nicht verhindern können, dass Aurelia die Apotheke nicht mehr betreten durfte. Dabei brauchte sie Aurelia dringend als Gehilfin, auch wenn Mechthild im Grunde auch für Gehorsam und Zucht im Kloster eintrat. Die Marientränen waren nicht leicht zu gewinnen. Warum bist du so halsstarrig, Kind? , sagte sie nur. Aurelias Warnungen hatte sie wieder als unbegründet abgetan.
Auf Sentas Geheiß führte Aurelia nun eine Strafarbeit nach
der anderen aus. Sie seufzte und murmelte leise vor sich hin: »Wieder den ganzen Tag mit dem Bügeleisen das Leinen glätten.«
Sie bog um den Westflügel zu den Wirtschaftsgebäuden ab. Vor dem Pferdestall hatten die Dienstmänner einen Wagen eingeschirrt. Sonst wurde um diese Zeit doch nie angespannt?
Sie erahnte zwei Nonnenhabits hinter den Pferdebeinen. Drei Schritt weiter erschrak sie. Mechthild und Ruth ließen Kisten aufladen. Sie fuhren schon zum Markt, um die Marientränen zu
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