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Die Goldmacherin Historischer Roman

Titel: Die Goldmacherin Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sybille Conrad
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lebte.

    Sie beugte sich tief über den uralten Pergamentband, den sie zwischen den Schriften aus Burgund auf ihrem Lesetisch verborgen hielt. Hier im Armarium, wo gut dreihundert Bücher auf Eichenholzbrettern eingereiht standen, wurde sie nur selten gestört. Außer Schwester Ruth und der Äbtissin lasen die begüterten Nonnen lieber in eigenen ausgemalten Bibeln aus ihrer Mitgift.
    Aurelia hatte nun schon siebenmal das ganze Werk der Prophetissa durchgelesen und sich alle Seiten Wort für Wort eingeprägt. Manchmal war ihr, als sei es gar nicht nur ihre Neugier, die sie zu diesem Fleiße trieb, sondern als fordere eine höhere Kraft von ihr, dass sie keine einzige Silbe vergäße.
    Aurelia stellte das Talglicht etwas näher. Mittlerweile brauchte sie sich die Buchseiten nur noch vorstellen, so genau hatte sie die Zeilen studiert. Sie vermochte in Gedanken in ihnen zu lesen, als ob sie vor ihr lägen. Je mehr sie es übte, desto mehr vermochte ihr Geist, das einmal gesehene Schriftwerk für immer zu behalten.
    Die Kirchenglocke schlug erst die achte Stunde. Im verhallenden Klang begriff Aurelia, dass diese Erinnerungsgabe des Herrn mehr als ein Geschenk war: Das Wissen um die Alchemie weiterzutragen war ihre Berufung. So wie sie zugleich erkannte, dass sie das uralte Wissen vor unwürdigen Augen schützen musste, bis wieder eine andere Aurelia das Buch finden würde.
    Sie blies die Lichter am Lesepult aus, klappte den roten Pergamentband der Maria Prophetissa zusammen, barg ihn wieder im alten Ledertuch an ihrer Brust und verließ das Armarium.
    Es war nicht weit zur Apotheke Mechthilds. Im Hof hatten die Dienstleute sogar die Ecken mit Reiserbesen ausgekehrt. Der Bischof von Speyer wurde am nächsten Vormittag zur Inspectio erwartet. Die Nonnen bereiteten die Ehrentische
vor, Mechthild überwachte im Stübchen neben dem Kornspeicher das Bier, das die Äbtissin für den Tross des Kirchenmanns brauen ließ.
    Die Apotheke lag verwaist. Aurelia griff sich rasch den nächstbesten Schemel, langte zur Steinrose unter den zwei geschwungenen Sandsteinbögen an der Wand hoch und drehte sie ab.Vorsichtig legte sie das Vermächtnis der ersten Alchemistin zurück in die Wand. Erschaudernd überkam sie das sichere Gefühl, dass dieses Versteck erst nach vielen Jahrhunderten wieder von einer Frau, die keine Nonne mehr sein würde, entdeckt werden würde. Aurelia bekreuzigte sich und drehte die Steinrose wieder in ihre Fassung zurück.
    Als sie den Schemel zurück unter den Tisch schob, fragte sie sich besorgt, ob sie ihren Platz im Refektorium auch würde einnehmen dürfen, wenn der Bischof von Speyer Einzug hielt.
     
    Aber dann saß Aurelia doch zwischen Quirna und Leonor in der Kirchenbank. Die beiden redeten nur mit ihr, wenn es die Novizinnen-Führerin Senta nicht mitbekam. Hinter ihnen reihten sich die Mönche und Männer aus dem kirchenfürstlichen Tross stehend auf.
    »Der Bischof habe unseren Hilferuf vernommen, heißt es«, flüsterte Leonor. »Er war sowieso zur Verteidigung seiner Besitzungen mit seinem Heer in der Gegend, auch wenn er nicht mit dem Herzog von Nassau in Fehde liegt. Aber sicher ist sicher.« Die klatschgeübte Leonor sprach so leise, dass die Laienschwestern in der nächsten Bank nichts hörten. Auch neigte sie den runden Kopf beim Sprechen kaum vor.Von der Seite betrachtet, schien Leonor ganz in das Zeremoniell vorn am Altar versunken.
    Der Bischof vollzog die Rituale mit dem heiligen Messgeschirr, als räume er Karten von einem Spieltisch. Überhaupt war er Aurelia beim ersten Anblick mehr wie ein aufschneiderischer
Bänkelsänger vorgekommen, trotz des prächtigen, braunfelligen Amtsmantels und des goldfäden-durchwirkten Bischofshuts. Er war zu schön. Männlich schön. Selten hatte Aurelia bei einem Kirchenfürsten solch strahlend blaue Augen in hellem Gesicht gesehen. Nur zwei kraftvolle Falten kerbten die Wangen, ein paar Fältchen vielleicht um die Augen, helle Brauen und helle Locken, wie sie auf den Gemälden zu Mailand die Heiligen trugen.
    Der Bischof zeigte beim Der Du zu jeder Zeit und jeder Stunde … noch einmal das schwere goldene Kreuz, mit nur einer Hand hielt er es lange Zeit zur Anbetung hoch. Quirna neben ihr stand der Mund offen. Woher nahm ein Kirchenmann diese Kraft? Vielleicht kam ihm die Fehde im Land gerade recht. Der prächtige Purpurornat beeindruckte Aurelia, lange hatte sie kein solch farbig besticktes Gewand mehr erblickt, selbst bei den Ratsherrn zu Mainz

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