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Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerit Bertram
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Ast stützte, kam auf sie zu.
    »Was geht es dich an, Frau? Kümmere dich gefälligst um deine eigene Mischpoke!« Die Frau fuchtelte mit ihrem Stock herum und kam auf sie zu. Cristin trat einen Schritt zurück, als sie das kämpferische Funkeln in ihren Augen bemerkte.
    »Kommst hier herein und kommandierst uns herum. Wer bist du überhaupt, he?«
    »Ich bin … ich heiße Agnes«, antwortete sie. »Ich habe es nur gut gemeint. Und wie heißt du?«
    »Geht dich nichts an«, grummelte die Alte und ließ von ihr ab.
    Mischpoke ? Ein seltsamer Ausdruck, den sie noch nie gehört hatte. Ihr Blick streifte die Mütter und ihre Kinder. Die meisten waren noch im Säuglingsalter, darunter ein kleines Mädchen, das wie Elisabeth ungefähr ein halbes Jahr alt sein musste, nur drei oder vier konnten bereits laufen. Ob Elisabeth Mechthild später mit Mutter anreden würde? Ohnmächtige Wut stieg in Cristin auf, wenn sie daran dachte, dass Lynhard und Mechthild ihr geliebtes Kind aufzogen – Lynhard, dieser Schnallenstanzer, vor dem kein Weiberrock sicher war. Und Mechthild, die sie vor Gericht des Mordes und der Hexerei bezichtigt hatte. Mechthild Bremer, was hat man dir für diese Lügen versprochen? Wofür hast du dein Seelenheil verkauft? Ich möchte es gern verstehen …
    Lautes Bellen riss sie aus ihren Gedanken. Schnell stieß sie die Tür auf und lief die schmale Holztreppe hinunter in den Flur, wo Lump sie sogleich mit eifrigem Schwanzwedeln begrüßte. Cristin ging in die Hocke und nahm das Tier in die Arme. »Da bist du ja, mein Guter.«
     
    »He, und was ist mit mir?«, brummte Baldo.
    Sie schenkte ihm ein Lächeln. »Schön, dass du wieder da bist und ihn gefunden hast.«
    »Nicht nur das. Ich war auch noch am Hafen und habe mich mit Piet getroffen. Dein Bruder hat schon gedacht, wir würden nicht mehr kommen.«
    »Er hat sich gewiss Sorgen gemacht, oder?«
    »Ja. Er befürchtete schon, die Büttel hätten uns erwischt«, erwiderte Baldo. »Ich habe ihm gesagt, wo er uns finden kann, wenn er Neuigkeiten für uns hat.«
    »Neuigkeiten?«
    »Natürlich kann dein Bruder nicht zu Michel, Utz und den anderen zurückgehen, bei den Gauklern wäre Piet nicht mehr sicher. Wir haben beschlossen, dass er sich in der Gropengrove versteckt, denn unter den Krüppeln und Bettlern wird ihn niemand suchen.«
    Cristin nickte.
    Eine der Türen öffnete sich, und der Aufpasser trat in den Raum.
    »Da bist du ja wieder«, sagte er zu Baldo. »Ich habe deiner Frau schon angeboten, dass ihr dableiben könnt. Die meisten hier sind Weiber mit ihren Bälgern, die schlafen oben im Frauenschlafsaal. Aber es gibt noch einen Raum, wo ich drei Männer untergebracht habe. Da ist noch ein Bett frei.« Der Aufpasser deutete auf Lump, der ihn neugierig beäugte. »Den Hund kannst du im Hof anbinden.«

21
     
    A m nächsten Tag lernte Cristin einige der Bewohner des Armenhauses etwas näher kennen. Viele von ihnen waren junge Mütter, Frauen wie Lena, um deren schreiendes Kind sie sich am ersten Tag gekümmert hatte. Ihre Männer verdingten sich bei Lehnsherren weiter im Süden des Landes oder arbeiteten im fernen Dänemark. Ob sie jemals wiederkommen würden, wusste niemand. Dann gab es alte Metzen wie die Jüdin Hanna, die kein Mann mehr anrühren mochte, weil ihre Brüste schlaff und ihr Fleisch welk geworden waren. Sie war diejenige, die Cristin beschimpft hatte, doch schnell stellte sich heraus, dass unter Hannas rauer Schale ein weicher Kern steckte. Genau wie bei den meisten anderen Hübschlerinnen, die im fortgeschrittenen Alter keine Freier mehr fanden.
    Zwischen ihnen waren auch einige junge Mädchen, fast noch Kinder, die bis vor Kurzem in den Straßen und Gassen der Hansestadt gelebt und gebettelt hatten. Eine von ihnen war die zwölf Lenze zählende Judith, ein zierliches flachsblondes Mädchen mit einer frechen Stupsnase. Judith konnte von Glück sagen, noch am Leben zu sein, denn sie und ihr jüngerer Bruder Peter hatten ihr ärmliches Leben nicht nur mit Bettelei gefristet, sondern sich als Beutelschneider betätigt. Und darauf stand in dieser Stadt das Abhacken der Hand, in schweren Fällen gar der Tod.
    Einmal, so erzählte Judith grinsend, hätte man sie beinahe geschnappt, aber sie hatte dem reichen Bürger, dem sie den Geldbeutel vom Gürtel abgeschnitten hatte und der sie am Kittel festhielt, einen kräftigen Tritt gegen das Schienbein verpasst. Als der Mann sie mit einem Aufschrei losgelassen hatte, war sie im Gewimmel des

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