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Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerit Bertram
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ihm erspürt hatte. »Noch ein feiner Herr, der sich an jungen Mädchen aufgeilt, soso. Hört sich an, als ob wir uns dieses ehrenwerte Haus mal ansehen sollten. Kann ja nicht schaden, sich dort auf die Lauer zu legen.« Ohne Cristins Erwiderung abzuwarten, ging er zielstrebig auf den Schlafraum des Armenhauses zu, wo Judith sich auf ein schmales Bett gelegt hatte. »Wir würden uns gern die Schänke ansehen, von der du erzählt hast. Führst du uns hin, Mädchen?«
    Judith nickte.
     
    Die Schankstube, in die Baldo und Cristin durch eines der kleinen, verdreckten Fenster spähen konnten, maß etwa zwanzig Mal dreißig Fuß. Ein offener Kamin, in dem große Holzscheite im Feuer prasselten, nahm fast die gesamte Rückwand ein. An den Tischen saßen zahlreiche Seeleute bei Würzbier, Wein und Würfelspiel. Gegenüber stand ein Weib, angelehnt an eines der mächtigen Bier- und Weinfässer, die an der Wand aufgereiht waren, und beobachtete das Treiben. Cristin fand, die Wirtin war der Gestalt nach ihren Fässern durchaus ähnlich. Was bekam die Alte wohl dafür, dass sie ihre Kammern im oberen Stockwerk zur Verfügung stellte, damit sich Kerle an jungen Frauen und halben Kindern vergehen konnten? Wenn es denn so war …
    Gemeinsam mit Baldo beobachtete sie das rege Treiben in der Schänke. Den Seeleuten, die sich ausgiebig mit Spielen und Trinken vergnügten und mit jedem Becher lauter lachten, war nichts Auffälliges anzumerken. Regelrecht volllaufen ließen sie sich, bis der erste Seemann in sich zusammenfiel wie ein Sack Mehl. Cristin schaute Baldo an und hob die Schultern. Von den Mädchen, von denen Judith berichtet hatte, keine Spur und von dem Knochenhauer Bräunling ebenso wenig. Nach den Eindrücken jenes Tages, als sie bei einer zufälligen Berührung gefühlt hatte, dass der Mann leidend sein musste, würde sie ihn so schnell nicht wieder vergessen. Sie musste sich getäuscht habe … Cristin starrte angestrengt zu Boden. Wenn es diese Mädchen hier gab, hielten sie sich versteckt. Die Stunden verstrichen, während sie sich an die Hauswand drückten. Sie biss sich auf die Lippe und verlagerte ihr Gewicht, denn ihr waren die Füße vom langen Stehen eingeschlafen.
    »Lass uns gehen, hier gibt es nichts zu sehen«, raunte sie Baldo zu.
    Der bedeutete ihr aber mit einem Zeichen, still zu sein und sich hinter einem Mauervorsprung zu verstecken.
    In diesem Moment öffnete sich die Tür neben dem Fenster, und zwei junge Männer stolperten ins Freie. Einer von ihnen rülpste, der andere kicherte.
    »Ich wette, dem Judenmädchen hat’s noch keiner so besorgt wie du!«
    Cristin hielt den Atem an.
    »Kaum, die kleine Metze war ja höchstens dreizehn Lenze! Schätze, ich war der Erste, der sie bestiegen hat. Je jünger, desto besser. Da holt man sich wenigstens nichts weg.«
    »Kann schon sein. Lass uns pissen gehen, damit wir schnell wieder reinkommen und ich der Zweite sein kann.«
    Lachen erklang, während die Männer um die Ecke verschwanden. Kurz darauf hörte Cristin, wie sie ihre Notdurft verrichteten, und sie fühlte eine Gänsehaut über ihre Arme kriechen, als erneut die Tür aufgestoßen wurde. Mit klopfendem Herzen stand Cristin stocksteif da, lauschte und traute sich nicht, in Richtung Tür zu spähen. Die Seemänner, offenbar Flamen, dem Klang der Sprache nach zu urteilen, verließen die Schankstube, wobei einer von ihnen der Länge nach zu Boden fiel. Sie konnte aus den Augenwinkeln noch seine Schuhe erkennen. Die anderen grölten, traten näher, sodass sie die Ausdünstungen der Männer roch, und hoben ihn auf. Es schauderte sie. Die Dämmerung setzte ein.
    Als die unsicheren Schritte der jungen Kerle verklungen waren, stellte sich Baldo zu ihr. Seine Miene war ernst. »Wenn die Sonne untergeht, kriechen die Ratten aus ihren Löchern, Cristin. Wir sollten noch abwarten.«
    »Mir reicht es, Baldo. Das ist widerlich!«
    »Psst!«, mahnte er und presste sie wieder gegen die schützende Mauer. Leise Stimmen aus mehreren Kehlen sowie das Rascheln von Stoff drangen zu ihr herüber. Die Tür wurde aufgestoßen, brachte einen Schwall Bierdunst und Gelächter mit hinaus und fiel sogleich wieder zu. Cristin atmete auf, als endlich Stille eintrat, dann spürte sie Baldos Arm um ihre Schultern, der sie zum Fenster führte. Die Schankstube war nahezu vollbesetzt. An einem der Tische stand eine Gruppe von sieben oder acht Männern und entledigte sich ihrer Mäntel. Etwas an der Haltung der Fremden ließ sie

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