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Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerit Bertram
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mit nach oben, Agnes. Ich zeige dir den Schlafsaal, wo ihr die Nacht verbringen könnt.«
     
    Piet rümpfte die Nase. Vom Hafen her roch es brackig nach Salz und toten Fischen sowie nach der Beize der Gerber und Kürschner, die diese ins Wasser der Untertrave fließen ließen. Er reckte den Hals und spähte aus seinem Versteck hinter einem der breiten Brückenpfeiler auf die Holstenstrate hinaus. Wo blieben die beiden nur? Das Letzte, was er von Cristin und Baldo gesehen hatte, war, wie sie Arm in Arm in der Menschenmenge verschwunden waren. Sie hatten sich doch bei Einbruch der Dunkelheit hier treffen wollen. Oder hatten die Büttel sie etwa erwischt? Er fuhr sich mit der flachen Hand über das Gesicht, spähte ins Zwielicht. Bald würde die Nacht anbrechen, weshalb es wenig Sinn hatte, sich auf die Suche zu machen. Besser, er versteckte sich bis zum Morgen im Schutz der Brücke und hielt dann nach ihnen Ausschau, dann könnten sie gemeinsam entscheiden, was zu tun wäre. Zu den Gauklern konnte er jedenfalls nicht zurückkehren. Wenn Mathes sie laut Cristins Bericht tatsächlich an die Büttel verraten hatte, würde der Mistkerl nicht lockerlassen, bis er wusste, wo die beiden sich aufhielten. Piet setzte sich auf den Boden, lehnte sich an den Holzpfeiler und streckte die Beine aus.
     
    Unwillkürlich schlug Cristin die Hand vor den Mund. So viele Menschen auf engstem Raum, zusammengepfercht wie Tiere. Hühnern auf der Stange gleich hockten Dutzende Frauen und Kinder auf den schmalen Betten, die den Schlafsaal ausfüllten, und musterten sie neugierig. Die Gesichter der Frauen waren von Krankheiten und Gram gezeichnet. Kinder hockten teilnahmslos auf dem Fußboden und spielten mit Wanzen und anderem Ungeziefer. Eine alte, verhärmte Frau saß auf ihrer Schlafstatt, eine Stoffpuppe in der Hand, und wiegte den Oberkörper hin und her. Ihre Augen glänzten unnatürlich, Speichel lief ihr aus dem Mund. Cristin schaute sich um. Am Ende des Raumes befand sich die offene Feuerstelle, deren Rauch offensichtlich über ein Loch in der Decke abzog. Der Lehmboden davor war mit allerlei Unrat übersät. Bei näherem Hinschauen entdeckte sie Knochenteile von Hühnern und Gräten, einige Fischköpfe, halb verwest, lagen obenauf. Der beißende Gestank, der ihr entgegenschlug, raubte ihr den Atem. Vor allem und in großen Mengen konnte sie jedoch Austernschalen ausmachen. Es schüttelte sie. Austern, davon ernährten sich nur die Armen. Das zumindest hatte sie bisher geglaubt. Nun mussten auch sie davon essen, wenn sie keinen Hunger leiden wollten.
    Einige der Kinder brauchten dringend eine frische Windel. Ihr Blick fiel auf eine der Mütter, ein hohlwangiges Mädchen von sechzehn, siebzehn Lenzen, das einen schreienden Säugling im Arm hielt. Die Binden, in die das Kind von oben bis unten gewickelt war, waren völlig durchnässt. Während sich der Aufpasser zurückzog, betrat sie den Raum und ging auf die junge Frau zu, doch diese schaute nicht einmal auf.
    »Du musst das Kleine trocken machen«, rief Cristin mit erhobener Stimme, um das Schreien des Säuglings zu übertönen.
    Die Mutter reagierte nicht.
    »Bitte, sieh mich an«, versuchte sie es erneut, diesmal eindringlicher. »Sonst wird es wund oder bekommt Karbunkeln und muss zum Medicus.«
    Endlich hob die Frau den Kopf, und der Ausdruck ihrer Augen war leer und stumpfsinnig. Cristin bückte sich und streckte die Arme aus. »Gib mir das Kind, ich mach das«, erklärte sie.
    Sie versuchte, nicht auf den scharfen Geruch des Säuglings zu achten, griff nach ihm und ging zu einem kleinen Tisch in einer Ecke des Schlafsaals, wo sie ihn ablegte und begann, die Stoffbinden abzuwickeln, die den kleinen Körper nahezu vollständig umgaben. Schließlich hatte sie das Kind von allen Binden befreit. Es war ein kleiner Junge. Jetzt, da er die Nässe auf der Haut nicht mehr spürte, hörte der Säugling zu schreien auf, wirkte wach und aufmerksam.
    Cristin drehte sich um und nickte der Mutter zu. »Siehst du, jetzt ist er zufrieden«, sagte sie lächelnd. »Dein Kleiner wollte nur frische Luft am Hintern haben. Komm her und mach ihm eine neue Windel um.«
    Die junge Frau trat neben sie. Während sie ihr Kind wickelte, wandte sich Cristin an die anderen Mütter, die ihr schweigend zugesehen hatten.
    »Das gilt auch für euch. Wie könnt ihr es überhaupt aushalten in so einem stinkenden Raum?«
    Eine hagere Frau mit krummem Rücken und strähnigen Haaren, die sich schwer auf einen dicken

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