Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)
anderen Männer hatten ebenfalls jeder eine erkleckliche Summe Geldes vor sich liegen. Hier ging es nicht nur um ein paar Hälblinge oder Witten, hier wurde um ein kleines Vermögen gespielt. Doch warum trafen sich die Männer, deren Äußeres einen gewissen Reichtum erkennen ließ, zum Würfeln ausgerechnet in so einer Spelunke? Ein Verdacht stieg in ihr auf. Vergnügte sich hier Lynhard lediglich mit ihrer ehemaligen Lohnarbeiterin? Oder kamen die Männer nicht nur zum Trinken und Würfelspiel zusammen?
Wieder wurde die Tür aufgestoßen, und ein Mann trat ins Mondlicht. Er war groß und massig, das schüttere, helle Haar stand ihm wirr vom Kopf ab, und als er ihnen das Gesicht zuwandte, erkannte sie, dass es von Pockennarben entstellt war. Sie wich zurück.
»Was habt ihr hier zu suchen?«, fuhr er die beiden an.
Baldo baute sich vor ihm auf. »Was geht’s dich an?«
»Ihr pliert schon’ne ganze Weile durchs Fenster. Meine Mutter hat es genau gesehen!«
»Deine Mutter?«
»Die Wirtin.« Der Mann trat näher, und Cristin roch seinen Schweiß. »Also, raus mit der Sprache! Warum schleicht ihr Strauchdiebe um das Wirtshaus rum?«
Ihre Gedanken überschlugen sich. »Ich … ich suche Arbeit«, stieß sie hervor und biss sich im selben Moment auf die Zunge.
Die Züge des Mannes entspannten sich. »Arbeit? Ach so, das ist natürlich etwas anderes. Da muss ich meine Mutter fragen. Komm rein.«
Cristin versteifte sich. Sie schluckte den Kloß in ihrem Hals hinunter und nickte.
»Was ist mit dir? Suchst du das Vergnügen oder auch eine Arbeit?«
Baldo machte eine abwehrende Handbewegung. »Nein, sehr freundlich, danke. Wollte nur mein Weib begleiten.« Er legte den Arm um sie. »Nicht wahr, Liebes?«
Sie funkelte ihn von der Seite an, und Baldo zog sie ungerührt an sich.
»Ein Frauenzimmer ist hinter den Mauern der Stadt ja nicht mehr sicher heutzutage. Stimmt’s?«
Der Mann hob die Schultern. Er zeigte sein lückenhaftes Gebiss. »Dann komm, dein Mann kann hier auf dich warten.«
Während Cristin dem Sohn der Wirtin durch die Schankstube in einen angrenzenden Raum gefolgt war, hatte sie den Kopf abgewendet, damit Lynhard und Mirke sie nicht erkannten. Nun stand sie vor der Wirtin, die sie, die Fäuste in die ausladenden Hüften gestemmt, aus listigen Augen von Kopf bis Fuß musterte.
»So, Arbeit suchst du. Da hast du Glück, grad letzte Woche ist mein Mädchen gestorben, seitdem muss ich allein bedienen. Mein Sohn hilft mir ja nicht, der faule Strick. Hat nur noch die jungen Weiber da oben im Kopf.« Sie machte eine Kopfbewegung zur Decke. »Wenn du willst, kannst du sofort anfangen. Bezahlen kann ich dich aber nicht. Dafür bekommst du Essen und kannst hier schlafen.«
Cristin nickte. »Gut«, erklärte sie, »dann geh ich rasch hinaus und sag meinem Gemahl Bescheid.«
Wieder war das Glück mit ihr, denn Lynhard und Mirke hatten inzwischen die Schänke verlassen. Sie konnte nur hoffen, dass die beiden nicht jeden Abend hierherkamen, schließlich hatte ihr Schwager ein Eheweib, das zu Hause auf ihn wartete. Sie verabschiedete sich hastig von Baldo, mit der Bitte, sie am nächsten Abend zu besuchen, und kehrte in den Schankraum zurück, wo die Wirtin bereits auf sie wartete. »Ein Krug Würzbier kostet einen Hälbling, für den halben Liter warmen Wein kassierst du einen Pfennig«, erklärte sie Cristin und grinste verschlagen. »Bei denen, die schon angetrunken sind, kannst du ruhig das Doppelte berechnen.« Sie drückte ihr ein Stück Holzkohle in die Hand und zeigte auf eines der großen Bierfässer an der Wand, auf dem sich zahlreiche Striche befanden. »Da kannst du’s aufschreiben! Ach, noch was. Wenn dir ein Gast etwas zusteckt, hast du es bei mir abzugeben, verstanden?«
Kurz darauf stemmte Cristin die ersten Bierkrüge über den Kopf und bahnte sich einen Weg durch das Gedränge.
»He, schöne Zigeunerin, wie wär’s nach Feierabend mit einem Schäferstündchen?«
Geschickt wich sie einer Hand aus, die unter ihr Kleid langen wollte, und steuerte auf den Tisch der drei Zecher zu, die eine zweite Lage Wacholderbier bestellt hatten.
»Zum Wohl, die Herren!«
Während sie die Krüge auf den Tisch stellte und zu dem Fass lief, um die Anzahl der ausgetrunkenen Bierkrüge zu markieren, kamen die beiden jungen Männer die Treppe hinunter. Einer fasste sich ungeniert ans Gemächt, über dem sich die enge Hose beulte, der andere grinste. Dann gingen sie an Cristin vorbei durch die offene
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