Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)
mit angezogenen Beinen auf ihrem Bett und schien zu schlafen. Sarah neben ihr hatte sich zur Wand gedreht, auch sie atmete gleichmäßig. Cristin betrachtete die schmale, knochige Gestalt des Mädchens. Obwohl sie beinahe eine Frau war, wirkte ihr Körper mit den kleinen Brüsten und den langen, dünnen Beinen noch kindlich. An Sarahs Schenkel, der aus der Decke herausschaute, entdeckte sie mehrere blaue Flecken. Vielleicht war es gut, dass sie blind war. So konnte sie die vor Geilheit verzogenen Gesichter dieser Kerle nicht sehen, wenn die sich auf sie legten. Cristin griff nach einer Decke und streckte sich neben dem Mädchen aus.
22
A ls Cristin am nächsten Morgen der Schankwirtin erklärte, dass sie ihr Frühstück zusammen mit Kairas und Sarah einnehmen wollte, runzelte die Alte zwar die Stirn, ließ ihr jedoch ihren Willen. So hatte Cristin Gelegenheit, ein wenig mehr darüber zu erfahren, wie Kairas in die Schänke gekommen war.
Noch vor wenigen Wochen hatte die junge Frau in Slupsk gelebt, einer Stadt an der polnischen Ostseeküste, in der ihr Vater eine Tuchhandlung besaß. Die Mutter war bei der Geburt des jüngsten Kindes gestorben. Kairas war bis vor etwa einem Jahr mit einem Mann namens Jan befreundet gewesen, der sie lieber heute als morgen geheiratet hätte. Doch ihr Vater hatte etwas gegen diese Verbindung, denn Jan war nur ein einfacher Handwerksgeselle und damit in den Augen des gestrengen Familienoberhauptes nicht standesgemäß. So hatten sich Kairas und Jan immer seltener gesehen, bis die junge Frau ihn eines Tages auf dem Marktplatz mit einem anderen Mädchen beobachtet hatte. Enttäuscht ließ sie Jan eine Nachricht zukommen, in der sie ihm schrieb, dass sie ihn nie wieder sehen wollte.
Den Sohn eines wohlhabenden Gewandschneiders, der bei ihrem Vater um sie warb, lehnte sie ab, aber irgendwann kam ein deutscher Salzhändler in das Geschäft, stellte sich als Hans Klingbeil vor und machte Kairas schöne Augen. Ihr Vater, dem das nicht verborgen blieb, lud den Mann für den nächsten Abend zum Essen ein, bei dem der Salzhändler sein offensichtliches Interesse an der Tochter des Hauses bekundete. Er war zwar einige Jahre älter als Kairas, hatte ein großes Blutmal an der Stirn, doch besaß er gute Manieren und vor allem Geld. Alles Eigenschaften, die ihn in ihres Vaters Augen zu einem geeigneten Heiratskandidaten machten. Am nächsten Tag ging sein Schiff zurück nach Lübeck, und er verabschiedete sich mit der Bitte, Kairas und ihr Vater sollten sich sein Heiratsangebot überlegen. In etwa einem Monat sei er wieder in Slupsk und werde noch einmal bei ihnen vorsprechen. So geschah es.
Bei seinem dritten Besuch – inzwischen hatte sich zwischen den beiden Männern ein nahezu freundschaftliches Verhältnis entwickelt – schlug er Kairas’ Vater vor, die Tochter mit nach Lübeck zu nehmen und ihr sein Geschäft und das Haus zu zeigen. Natürlich könne auch ihr Vater mitkommen, wenn er wolle. Der Tuchhändler willigte ein. Zwar hatte er selber keine Zeit, die beiden zu begleiten, aber er vertraute dem Salzhändler und Freund seine Tochter an.
»Dieser Mann, Hans, mich mitgenommen. Aber er kein guter Mann. Er mich bringen nicht in sein Haus in Lübeck. Er mich bringen hierher.« Tränen liefen ihr über die Wangen, während sie weitersprach. »Wenn mein Vater wüsste, was ist geworden aus mir – eine prostytutka . Ich mich schämen so.«
Cristin legte den Arm um ihre Schulter. »Du trägst keine Schuld an dem, was dieser Mann dir angetan hat, Kairas! Du bist das Opfer eines bösen Menschen geworden, der die Gutgläubigkeit und das Vertrauen deines Vaters ausgenutzt hat. Du sagtest, der Mann hieß Hans. Hans Klingbeil. Er ist Salzhändler?«
Die junge Frau nickte.
»Das er sagen, ja. Aber ich nicht wissen. Ich glauben, das nicht richtiger Name.«
»Bestimmt nicht.« Was war das für eine Ratte, der ein junges Mädchen aus dem Elternhaus holte und ihr Versprechungen machte, nur um sie dann in der Fremde als Hübschlerin arbeiten zu lassen?
Eine innere Stimme mahnte Cristin zur Vorsicht. Ein Kerl wie dieser wäre sicher zu mehr fähig, als einem jungen Ding aus dem Osten den Hof zu machen und es dann zu verschleppen. Hans Klingbeil war vermutlich wirklich nicht sein wahrer Name. Gewiss hatte er Kairas auch nur vorgemacht, ein reicher Salzhändler zu sein.
»Beschreib ihn mir, Kairas. Wie sah der Mann aus?«
Das Mädchen dachte nach.
Cristin sah, wie schwer es ihr fiel, über
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