Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)
Tür des rückwärtigen Raumes, wo die Wirtin an einem aufgebockten Holztischchen saß.
»Ich hoffe, Ihr wart zufrieden, meine Herren?«
»Jawohl, Wirtin. Wir kommen gern wieder.«
In Cristin stieg Ekel auf, vermischt mit ohnmächtiger Wut.
»He, bring mir noch einen Becher Wein«, rief jemand quer durch die Stube.
Sie straffte die Schultern »Komm ja schon!«
Als gegen Mitternacht das Feuer im Kamin heruntergebrannt war und die letzten betrunkenen Zecher endlich das Wirtshaus verließen, räumte Cristin die leeren Tonkrüge und Weinbecher fort und säuberte die Tische. Vom Stemmen der schweren Humpen taten ihr die Arme weh. Mehr als einmal hatte sie sich der Hände unverschämter Kerle erwehren müssen, die immer wieder versuchten, ihre Schenkel zu betatschen. Einige der Gäste waren so aufdringlich, sie beim Kassieren auf ihren Schoß ziehen zu wollen, und als sie sich darüber bei der Wirtin beschwerte, hatte diese nur gegrinst.
»Stell dich nicht so an, das gehört nun mal dazu.«
»Bei mir nicht«, war Cristins schroffe Antwort. »Ich bin keine deiner Metzen, ich habe einen Mann, der auf mich wartet.«
In trübe Gedanken versunken, beendete sie ihre Arbeit.
»Komm mit nach oben, ich zeig dir, wo du schlafen kannst.« Die Alte stand hinter ihr und zupfte sie am Ärmel.
Cristin folgte ihr die Treppe hinauf, wo von einem schmalen Gang ein paar Türen abgingen.
Die Wirtin drückte eine Klinke hinunter. »Ein Bett ist noch frei.«
Sie betrat die kleine, ungeheizte Kammer und erkannte im schwachen Licht einer Talglampe eine junge, dunkelhaarige Frau, die etwa in ihrem Alter sein musste. Die Unbekannte saß mit angezogenen Beinen, die Arme um die Knie gelegt, auf einer Schlafstatt und beäugte sie aus halb geöffneten Lidern. Eine zweite, kleinere Frau stand an einem Fenster und schaute ins nächtliche Dunkel hinaus. Während die Schankwirtin hinter ihr die Tür ins Schloss zog, setzte sich Cristin auf das freie Bett, das unangenehm nach Schmutz roch. Sie rümpfte die Nase.
»Gott zum Gruße«, sagte sie ein wenig unsicher und nannte ihren Namen.
Die Dunkelhaarige auf dem Bett gegenüber öffnete den Mund.
»Agnes«, wiederholte sie mit einem leichten Kopfnicken. »Ich Kairas.«
Ihre Stimme klang seltsam rau und schien gar nicht zu der zarten Person zu passen.
Woher mochte sie stammen? Cristin nickte der anderen Frau, die immer noch regungslos am Fenster stand, freundlich zu.
»Und du, wie ist dein Name?«
Die Angesprochene reagierte nicht.
Die Frau, die sich Kairas nannte, seufzte. »Spricht nicht. Niemals. Aber Name ich weiß – Sarah.«
»Ein schöner Name«, erwiderte Cristin. Als die Frau ihren Namen hörte, drehte sie sich um.
Sie erschrak, denn es handelte sich um ein Mädchen von höchstens vierzehn Lenzen. Seine Augen waren seltsam starr und hatten eine ungesunde, milchige Farbe. Als sie beobachtete, wie das Mädchen sich in die Richtung ihrer Stimmen drehte und den Kopf ein wenig schief legte, stieg eine Ahnung in ihr hoch. »Du kannst nicht sehen, nicht wahr?«
Das Mädchen nickte. Indem es vorsichtig mit der ausgestreckten rechten Hand vor sich her tastete, ging es durch die Kammer und blieb vor Cristins Bett stehen. Die Finger der Kleinen berührten scheu ihr Knie und wurden sogleich wieder zurückgezogen.
»Komm, Sarah, setz dich.« Cristin rutschte etwas zur Seite. »Es tut mir leid, dass ich dir deinen Schlafplatz wegnehme.«
Das Mädchen ließ sich neben ihr nieder.
»Ach, das kennt sie schon.« Kairas zuckte die Schultern. »Anderes Mädchen auch geschlafen mit Sarah in Bett. Gestorben letzte Woche.« Die junge Frau beugte sich vor. »Du jetzt machen ihre Arbeit?«
»Ja, heute war mein erster Arbeitstag in der Schankstube.«
»Schankstube gute Arbeit, ja?«
Cristin nickte.
»Sag mir, Kairas, wie viele von euch gibt es in diesem Haus?«
Die junge Frau überlegte und schien im Geist die Namen der anderen durchzugehen.
»Acht oder neun, ich glaube. Aber weiß nicht genau.« Ein bitterer Zug legte sich um ihre vollen Lippen. »Wir uns nicht oft sehen. Fast immer in Kammer.«
Cristin schwieg. Judith hatte also recht gehabt. In ihr krampfte sich alles zusammen, wenn sie daran dachte, was hier oben mit all den jungen Frauen und Mädchen wie der hübschen Kairas und der blinden Sarah geschah. Sie schloss die Lider und sah plötzlich Gero Momper vor sich, den Mann, der sie in der Zelle der Fronerei mit Gewalt genommen hatte. Als sie die Augen wieder öffnete, lag Kairas
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