Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)
Herrscherpaar das Land regiert hatten.
Schweigend betraten sie die königlichen Gärten, die von zahllosen Feuerbecken erhellt waren. Die prächtig angelegten Rabatte und Teiche, die im Mondlicht wie verzaubert wirkten, bemerkte Cristin allerdings nicht, denn ihre Gedanken weilten bei der Königin. Mit dem gewährten Kredit hatte Jadwiga ein Zeichen gesetzt. Andere würden vermutlich folgen, um sie an diese Anordnung zu erinnern, und dieselbe Behandlung erwarten. Ihr stand ein erbitterter Kampf bevor, gegen die vorherrschende Meinung des Volkes und für die Andersgläubigen Polens. Und gegen ihren Gemahl, der ganz offensichtlich nicht der Juden bester Freund war. Cristin bekam auf einmal eine Ahnung dessen, warum die Königin ihre Anwesenheit bei der Audienz angeordnet hatte. Der Wind frischte auf, und sie wünschte, sie trüge ihren warmen wollenen Umhang statt des seidenen, der zu ihrem Gewand gehörte.
Piet legte ihr den Arm um die Schulter. »Jadwiga ist nicht nur wunderschön, sondern auch eine Kämpferin, nicht wahr? Hoffentlich steht sie damit nicht allein.«
Verblüfft sah Cristin auf. »Hast du meine Gedanken gelesen, Bruder?«
Er klimperte mit seinen langen Wimpern wie ein Mädchen auf Brautschau. »Ich höre sie einfach zuweilen.«
Cristin lachte und schmiegte sich an ihn.
»Ich gehe zur Ruhe. Janek, kommst du mit?«, knurrte Baldo hinter ihr.
Sie wandte den Kopf. Der Junge nickte, und sie verließen einträchtig die Gärten, ohne sich noch einmal umzusehen.
»Was … warum …« Cristin ließ sich auf eine Bank sinken und verfolgte, wie das Portal geöffnet wurde und die beiden im Inneren der Burg verschwanden. Piet und Marianka setzten sich zu ihr.
»Lass ihn, Schwesterchen.«
Sie antwortete nicht. Schon den ganzen Tag über war Baldo so seltsam gewesen. Merkte er denn gar nicht, wie sehr er sie damit verletzte? Je öfter sie sich bei dem Wunsch ertappte, ihn zu halten und zu liebkosen, desto weiter schien er von ihr abzurücken, als wäre ihre Gegenwart ihm lästig. Vielleicht bin ich das ja auch, durchfuhr es sie. Vielleicht bin ich ihm ebenso lästig wie die nicht enden wollende Flucht und der Aufenthalt in einem Land, das nicht das seine ist. Die Kehle wurde ihr eng, und es drängte sie, ihrem Bruder von ihren Gedanken zu erzählen. Diese Nacht war allerdings nicht der richtige Zeitpunkt für eine ernste Unterhaltung, wie sie mit einem Seitenblick auf das junge Paar feststellte, dessen Hände sich zärtlich umfangen hielten. Marianka plapperte munter von ihrer Familie, den kleinen Geschwistern und der Arbeit auf den Märkten der Umgebung, aber Cristin war zu aufgewühlt, um dem Gespräch folgen zu können, und verabschiedete sich bald.
12
A ls Cristin nach einer unruhigen Nacht das Bett verlassen, sich gewaschen und angekleidet hatte, schaute sie gedankenverloren aus dem Fenster. Der Herbst hatte Einzug gehalten, rot und gelb verfärbte Eichen- und Buchenblätter glänzten feucht im Dämmerlicht, und der Boden war mit Reif bedeckt. Nicht mehr lange, und Väterchen Frost würde seine eisigen Finger ausstrecken, die Landschaft mit Eis und Schnee überziehen und die Straßen und Wege unpassierbar machen. Cristins Stimmung sank, denn sie hatte gehofft, längst mehr über Lynhards und Lüttkes Machenschaften in Polen herausgefunden zu haben, um noch rechtzeitig vor dem Gefrieren der Ostsee nach Lübeck zurückreisen und ihre Unschuld beweisen zu können. Aber alles sah so aus, als würden sich die Spuren der Verbrecher auf polnischem Boden verlieren. Wenn sie nicht bald neue Hinweise bekämen, würden sie den Winter auf dem Wawel ausharren und auf den Frühling warten müssen. Ohne Beweise jedoch war eine Rückkehr in die Hansestadt sowieso undenkbar. Cristins Inneres zog sich krampfartig zusammen. Die Stadtbüttel würden sie gefangen nehmen, sobald sie die Tore Lübecks passierten, und der Tod wäre ihnen sicher.
Cristin blickte sich in der Kammer um, die von der Einrichtung und Größe einer Fürstin würdig gewesen wäre. Ewa, die zu ihrer persönlichen Kammerdienerin bestimmt worden war, kam auf leisen Sohlen herein, grüßte schüchtern und setzte sich nahe dem Feuer an den Webrahmen. Das Geräusch des sich rhythmisch hin- und herbewegenden Schiffchens machte Cristin unruhig. Mit zusammengebissenen Zähnen gesellte sie sich zu der jungen Frau und nahm die Arbeit an der Handspindel wieder auf, aber so sehr sie auch versuchte, gleichmäßiges Garn zu spinnen, es wollte ihr nicht
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