Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)
Schwester … Agnes. Wir haben uns erst vor kurzer Zeit wiedergefunden. Und Adam … unser Bruder.«
Cristin erkannte, wie schwer ihm diese Worte fielen. Dieses Mädchen musste ihm etwas bedeuten, denn ansonsten vermischte er Wahres und Unwahres mühelos, wenn es notwendig war.
Mariankas dunkle Augen strahlten im Schein der Fackeln. »Wie schön, euch kennenzulernen.«
Cristin fühlte sich sofort zu der jungen Frau hingezogen. Mariankas Fröhlichkeit wirkte ansteckend, und die Art, wie sie Piet in die Augen sah, verriet Cristin, dass seine Gefühle erwidert wurden.
»Du sprichst unsere Sprache?«, fragte sie erfreut.
Marianka nickte. »Meine matka war Deutsche. Sie folgte meinem Vater hierher, damit er die Werkstatt seines Vaters übernehmen konnte.«
Baldo wies auf die Gestalt des Klerikers unweit von ihnen. »Du kennst doch sicher diesen finsteren Gesellen dort, Marianka, oder?«
»Meinst du den Priester dort? Sein Name ist Bozyda. Der Mann ist hier sehr …« Sie suchte nach dem passenden Wort.
»Angesehen?«, half Piet.
Sie nickte. »Ja. Angesehen.«
»Hoheit, ich bitte Euch untertänigst …« Eine heisere Männerstimme ließ die junge Frau verstummen.
»… Ihr möget uns einen Teil der Steuern erlassen.«
Cristin stellte sich auf die Zehenspitzen und erkannte einen Bauern in den besten Jahren, dessen krummer Rücken von lebenslanger Arbeit zeugte. Hinter ihm stand seine Familie, die ihm mit kleinen Gesten Mut zusprach.
»Deine Bitte ist kühn«, entgegnete Jagiello. »Warum sollten wir dies tun? Sprich.«
Eine verhärmte Frau gab dem Mann einen Schubs, und er sank auf die Knie.
»Wir sind treue und ergebene Gemüsebauern, Majestät. Unser bescheidenes Stück Land liegt auf der anderen Seite der Weichsel. Nun hat Ungeziefer unsere Felder heimgesucht, und die Hälfte unserer Ernte ist vernichtet. Bitte gewährt uns einen Teilerlass, denn wir können die Steuern nicht bezahlen.«
Im Saal wurde es still. Alle Augen waren auf den Mann gerichtet, der seine Bitte mit gesenktem Haupte vorgetragen hatte. Cristin hielt den Atem an, während Jadwiga und Jagiello sich miteinander berieten. Der König winkte jenen würdig aussehenden Priester zu sich, den Cristin schon vorher bemerkt hatte.
Nach einer Weile erhob sich Jagiello. »Wir verkünden: Ihr seid tugendhaft und huldigt dem Allmächtigen. Deshalb gewährt Unsere Majestät euch Aufschub bis zur nächsten Aussaat. Und nun hinfort mit euch.«
Ein Raunen ging durch die Menge, als die Gruppe nach einer tiefen Verbeugung den Saal verließ. Während andere ihre Bitten vortrugen, musterten sich Baldo und Cristin in stummem Einverständnis.
»Lass uns gehen, Mädchen«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Ich habe genug gesehen.«
Sie hatten sich bereits von den anderen verabschiedet, als Unruhe ausbrach. Aus dem Augenwinkel konnte sie erkennen, wie sich die Gruppe ärmlich gekleideter Leute, die in der Nähe des Kirchenmannes gestanden hatte, einen Weg zum Thron bahnten, um vor dem Königspaar stehen zu bleiben.
»Was hast du vorzubringen, guter Mann?« Jadwiga, die in ihrem dunklen Gewand sehr schmächtig wirkte, musterte den jungen Bittsteller ernst.
Einen winzigen Moment lang durchfuhr Cristin der unsinnige Gedanke, die Krone und der prächtige Thronsessel wären zu groß für sie, doch sie wusste, die Königin war sehr wohl imstande, mit ihrer ruhigen Stimme den Audienzsaal auszufüllen.
Der Mann, der den Greis mit dem Arm stützte, stand nun vor Jadwiga und verbeugte sich. »Verehrte Königin. Im Namen meiner Familie bitte ich, auch uns einen Teil der Steuern zu erlassen, wie Ihr es in Eurer Gnade bei dem treuen Bauern tatet. Unsere Schafe, die auf Eurem Land grasen, waren krank. Viele Tiere sind verendet, und ich werde nicht genügend Felle und Fleisch verkaufen können, um die Bäuche meiner Familie im Winter zu füllen …« Der Schafhirte brach ab, die Schultern des alten Mannes bebten.
Sofort scharten sich die Berater sowie der Priester um das Regentenpaar, und jeder von ihnen versuchte sich Gehör zu verschaffen. Cristin spürte einen schalen Geschmack im Mund. Janek, der sich sichtlich langweilte, zerrte an ihrer Hand.
»Die kenne ich! Das sind Heiden!«, schrie plötzlich eine Adelige und zeigte mit ihrem Fächer auf die Familie. »Sie verhöhnen den Herrn, indem sie seine Gesetze missachten!«
Cristin zuckte unter den rüden Worten zusammen.
Ausrufe der Entrüstung wurden laut. Die Damen steckten ihre Köpfe zusammen und tuschelten,
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