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Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerit Bertram
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während eine Anzahl von Männern sich versammelte und die Gruppe abschätzig betrachtete.
    »Tretet vor!« König Jagiello erhob sich. Seine Miene war undurchdringlich. »Ist das wahr? Seid ihr Heiden?«
    Der junge Mann begegnete dem Blick des Königs ungerührt. Seine kerzengerade Haltung und die Gelassenheit, mit der er antwortete, ließen in Cristin Bewunderung aufkommen.
    »Nein, Majestät. Wir sind keine Heiden. Wir sind Juden und beten zu Jahwe, dem Gott, von dem Eure Bibel im Alten Testament spricht.«
    Es schien ihr, als wehe plötzlich ein eisiger Wind durch den Audienzsaal. Die Menschen wichen vor den Hirten zurück und bildeten einen Kreis um sie, während die Familie sich schützend um ihren Sprecher stellte. Eines der kleineren Kinder begann zu jammern und umklammerte den Hals der Mutter. Cristin schauderte. Was bewegte die Anwesenden dazu, vor diesen Menschen zurückzuweichen, als wären sie Aussätzige? Sie hatte noch nie Bekanntschaft mit Juden gemacht, aber diese Gruppe hier fiel weder durch ungewöhnliche Kleidung noch durch ungebührliches Benehmen auf.
    »Was will dieses Judenpack hier? Sollen ihre Schafe doch verrecken!«, tönte es aus einer Ecke herüber.
    »Ja! Werft sie hinaus!«, stimmten andere in die Rufe ein.
    Baldo beugte sich zu Cristin hinunter. »Schau dir den König an«, raunte er. Der Kirchenmann und Jagiello standen dicht beieinander. Warum geboten sie dem Treiben keinen Einhalt? Wieso ließ der König die Beleidigung des Schäfers und seiner Familie zu?
    »Majestät!« Eine Gruppe Adeliger trat vor. »Diese … diese Juden sorgen ständig für Ärger und passen sich uns nicht an«, ereiferte sich einer der in vornehme Kleider gehüllten Männer. »Sie verkaufen ihre Waren viel zu teuer und betrügen uns rechtschaffene Christen!«
    Jagiello verzog das Gesicht. »Ihr braucht mich nicht aufzuklären«, entgegnete er scharf. »Ich weiß über dieses Volk Bescheid.«
    »Hinaus mit den Christusmördern!« Die aufgebrachte Menge näherte sich der Familie. »Was haben sie überhaupt im Schloss zu suchen?« Schon wurde der Kreis um die kleine Gruppe enger, und die ersten Hände streckten sich aus, um das Geforderte in die Tat umzusetzen.
    »Schweigt still!«
    Alles verstummte. Jadwiga hatte eine Hand erhoben. Bleich, aber mit gestrafften Schultern stand sie neben ihrem Gemahl, und die Menschen starrten wie gebannt auf ihre Königin, in deren Augen ein Feuer zu glimmen schien. So hatte Cristin die junge Frau noch nie gesehen. Während ihr Mann sie mit gerunzelter Stirn maß, sah die Regentin dem Hirten ins Gesicht, ohne auf die Umstehenden zu achten.
    »Wir, Jadwiga von Polen, Königin von Gottes Gnaden, gewähren dir Kredit in der benötigten Höhe, damit du die fehlenden Schafe ersetzen kannst!«
    Ein Raunen ging durch den Saal.
    Jadwigas Lippen umspielte ein freundliches Lächeln.
    »Du zahlst es mir bei der nächsten Aussaat zurück.« Sie gab einem der Berater einen Wink. Mit unverhohlenem Widerwillen reichte er ihr einen ledernen Beutel, den sie dem Hirten zuwarf. »Und nun geh mit Gott.«
    Der junge Mann lauschte Jadwigas Worten, fiel auf die Knie und dankte ihr leise. Die Gäste im Saal rührten sich nicht, doch ihre Gedanken schienen so laut zu Cristin herüberzudringen, dass sie meinte, sie hören zu können. Ein Skandal! Eine Demütigung! Die Königin verwies ihren Gemahl an seinen Platz! Oh ja, Cristin konnte sich die Welle der Entrüstung vorstellen, die Jadwigas Verhalten auslösen würde. Nie zuvor hatte sie so viel Hochachtung für die Königin empfunden wie in diesem Moment, als sie mit sanfter Hand für Gerechtigkeit gesorgt hatte. Cristin blinzelte zu Jagiello herüber, der mit hochrotem Kopf und Lippen so schmal wie eine Linie den Arm der Königin ergriff, um sich ohne ein Wort des Abschieds mit ihr zu entfernen.
    »Puh«, entfuhr es Piet mit einem schiefen Grinsen. »Was für eine Vorstellung! So etwas bekommt man nicht alle Tage zu sehen, nicht wahr, Schwesterherz?«
    Sie knuffte ihn in die Seite. »Lass uns gehen, du respektloser Narr. Die Luft hier drinnen ist stickig.«
    Baldo kommentierte ihre Worte nur mit einem Nicken und ließ ihr den Vortritt. Cristin war heilfroh, den Audienzsaal hinter sich zu lassen. Janek zog sie mit sich den Gang hinunter, vorbei an goldgerahmten Gemälden, von denen Männer und Frauen mit ernster Miene auf sie herabsahen, ihrer würdevollen Haltung und der kostbaren Kleidung nach Könige und Königinnen, die vor dem jetzigen

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