Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)
gelingen. Das Gesicht des Mannes, der selbst durch ihre Träume spukte, schob sich immer drängender in ihren Geist. Baldos abweisendes Verhalten vom Vortag hatte sie in ihren Grundfesten erschüttert. Den wortkargen, doch stets verlässlichen Freund an ihrer Seite zu wissen, war für sie so selbstverständlich geworden wie die Gewissheit, dass auf die Nacht ein neuer Morgen folgen würde. Er bedeutete ihr weit mehr, als er je ahnen konnte, aber diese Erkenntnis musste sie in ihrem Herzen verschließen. Solange er nur da war. Resigniert warf sie ihre Handspindel aufs Bett und verließ die Kammer.
»Hast du Lust, uns zu begleiten, Adam?«, fragte Piet und klopfte ihm auf die Schulter.
»Was habe ich bei dem Schmied verloren? Geht allein und lasst mich in Ruhe.«
»Adam, jetzt schau doch nicht so grimmig«, erwiderte Marianka ausgelassen. »Meine Familie wird erfreut sein, dich kennenzulernen – ebenso wie Piet.« Sie warf ihrem Liebsten einen strahlenden Blick zu.
Baldo verdrehte die Augen und wollte sich zum Gehen wenden, da fasste Marianka ihn am Arm und lächelte. Seine abweisende Miene schien sie nicht zu beeindrucken.
»Ich würde mich wirklich freuen. Komm schon, ja?«
Seufzend ergab Baldo sich in sein Schicksal und lief hinter der quirligen, jungen Frau her, die sich bei ihm unterhakte wie bei einem guten Bekannten, während Piet eins seiner selbst gedichteten Lieder summte und sie den Schlosshof überquerten.
Konnte der Narr nicht endlich aufhören, ihn mit den albernen Reimen von schönen Weibern und durchtanzten Nächten zu ärgern? Baldo bereute schon, dass er sich von Marianka hatte überreden lassen. Kupferschmiede. Pah! Letztlich war es gleichgültig, ob er nun bei Hofe weilte oder die beiden begleitete. Die Sonne kämpfte sich durch die Wolken, und er blinzelte. Plötzlich jagte ein stechender Schmerz durch seinen Oberschenkel, und er war froh, sein Bein in dem Ochsenkarren ausstrecken zu können, der vor der Burg auf sie gewartet hatte. Mariankas blonder Zopf wippte, während sie ununterbrochen sprach, und entlockte ihm ein Grinsen. Die beiden passen wunderbar zueinander, dachte er mit einer Spur Ironie. Piet war den Reizen eines hübschen Weibes nie abgeneigt gewesen, daher konnte Baldo nur hoffen, er würde diesem reizenden Exemplar, das neben ihm saß, nichts versprechen, was er nicht halten konnte. Schließlich hatte Cristins Bruder seinen eigenen Aussagen zufolge schon genügend Weiberherzen gebrochen und hielt es nie lang an einem Ort aus. Aber was ging’s ihn an? Liebe war etwas für Träumer oder Dichter, mit der Wirklichkeit hatte sie nur wenig gemein.
Kurze Zeit später erreichten sie Krakow am Fuß des Wawels und hielten vor einem bescheidenen, jedoch ordentlich wirkenden Haus am Ende einer Gasse. Zwei Jungen kamen herbeigerannt, rotznäsig, aber mit blitzenden Augen, und begrüßten ihre Schwester mit feuchten Küssen. Aus einem der Fenster drangen aromatische Düfte an seine Nase.
» Matka macht krokiet , Pfannkuchen mit Fleischfüllung«, erklärte Marianka und zog Piet und Baldo ins Innere des Hauses.
Die Gastfreundschaft von Mariankas Familie machte Baldo sprachlos. Niemand stellte Fragen oder beäugte ihn neugierig, stattdessen wurden sie mit den Köstlichkeiten und dem Frohsinn der Hausherrin verwöhnt, sodass Baldos Anspannung allmählich von ihm wich und er begann, die angenehme Gesellschaft zu genießen. Nach dem üppigen Mahl ließ Piet es sich nicht nehmen, seine Jonglierkünste vorzuführen und brachte damit alle zum Entzücken. Mit großen Augen verfolgten Mariankas Brüder die kleine Vorstellung. Baldo sah zu der jungen Frau hinüber, und die Blicke, die sie Piet zuwarf, sprachen eine deutliche Sprache. Ein Stich ging ihm durchs Herz, wenn er die Verliebten ansah, die in diesem gemütlichen Haus einträchtig bei der Familie saßen. Könnte er sich doch nur an seine Jugend erinnern und die Nebel des Vergessens auflösen, die ihm den Blick versperrten.
Am nächsten Tag fehlte Baldo beim Frühstück, und Piet war ungewöhnlich wortkarg an diesem Morgen. Auf Cristins Frage, wo Baldo wäre, antwortete er nur einsilbig, dieser sei schon kurz nach Sonnenaufgang mit dem Ochsenkarren, den Mariankas Vater ihm vor ein paar Tagen zur Verfügung gestellt hatte, in die Stadt hinuntergefahren. Vermutlich hielt er sich in der Kupferschmiede auf.
Cristin tunkte ihren Löffel in den Gerstenbrei. Warum hatte er ihr das nicht selbst erzählt?
»Ich darf gehen?«, riss
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