Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)
sagt, wir können bei ihm in der Gasse ein Haus bauen. Ein kleines nur, aber es wird unser sein.«
Sie schwiegen. Das Rauschen der Bäume im Wind, die Vögel in ihren Zweigen, alle Geräusche schienen für Cristin auf einmal einen Missklang mit sich zu führen. Noch jemand, den ich verlieren werde, schoss es ihr durch den Kopf.
»Ich … ich weiß, was du fühlst«, murmelte sie tränenerstickt an seinem Ohr. »Aber … du musst nicht meinetwegen …«
»Oh doch, Liebes! Ich kann nicht ruhig sein, solange ich nicht fühle, dass es dir gutgeht.« Er wandte sich ab, seine Schultern bebten.
Cristin starrte auf seinen Rücken, schwieg.
»Du brauchst Zeugen, begreifst du das denn nicht? Ich kann aussagen, was Bozyda und dein sauberer Schwager hier treiben.« Er drehte sich um und umfasste ihre Taille. Widerstreitende Gefühle spiegelten sich in Piets Augen wider.
»Vielleicht … vielleicht gibt es eine andere Möglichkeit«, flüsterte Cristin. Sie senkte ihre Stimme. »Bruder, ich bin des Lesens und des Schreibens mächtig. Wenn wir nun ein Schriftstück aufsetzen, in dem du bezeugst, Bozyda, Lynhard und den anderen belauscht zu haben? Wenn wir Glück haben, kann ich diesen Beweis später vor Gericht verwenden. Was meinst du? Dann könntest du hierbleiben – bei Marianka.«
Sein Gesicht erhellte sich. »Das könnte gehen«, räumte er ein, und der Glanz in seinen Augen kehrte zurück. Er küsste sie zart auf die Stirn.
»Ich werde dich schrecklich vermissen, du Narr.«
»Ich dich auch. Doch ich werde dich hören, wenn du mich rufst, Schwester. Glaub mir, ich bin dann schneller bei dir, als dir vielleicht lieb ist.«
»Ja«, lächelte sie und schniefte. »Da bin ich sicher. Ich werde euch besuchen, so oft ich kann, und eure Kinder nach Strich und Faden verziehen, mein Lieber. Wehe, du bist nicht gut zu Marianka! Dann bekommst du es mit mir zu tun, verstanden?«
In der Morgendämmerung brachen sie auf. Jadwiga hatte jedem zum Abschied ein fest verschnürtes Päckchen mit auf den Weg gegeben, ihnen eine gute Reise und den Segen des Allmächtigen gewünscht und versichert, sie seien jederzeit bei Hofe willkommen. Jaromir und Janek saßen schon in der Kutsche und warteten. Der Hufschmied und der Junge wollten es sich nicht nehmen lassen, Cristin und Baldo zur Ostseeküste zu begleiten, wo diese an Bord eines Schiffes gehen wollten. Selbst die Aussicht auf eine mehrtägige Reise schien sie nicht zu schrecken. Von Piet und Marianka hatten sie sich bereits am vergangenen Abend verabschiedet. Nur eine innige Umarmung, dann war ihr Bruder wortlos gegangen. Gewiss war es besser so, trotzdem war es Cristin, als würde ein Teil von ihr mit ihm gehen. Hätte Baldo sie nicht fest umarmt, wäre sie ihm vielleicht nachgelaufen, um ihn zu bitten, es sich anders zu überlegen. Doch Piet hatte sich entschieden, und sie sollte sich mit ihm freuen. »Wir sehen uns wieder«, hatte sie geflüstert und den Kopf in Baldos Nacken vergraben, um die Tränen zu verbergen.
Gemächlich war die Fahrt durch den Frühnebel, bei der sich Janek dicht an sie gedrängt hatte und beharrlich schwieg. Cristin wurde innerlich ganz ruhig, denn sie fing die Blicke auf, die der Hufschmied dem Jungen zuwarf. An keinem Ort der Welt wird er glücklicher sein als hier, durchfuhr es sie, während sie Baldo lauschten, der in ungewohnter Redseligkeit von der Kupferschmiedekunst erzählte. Zärtlich beäugte sie ihn von der Seite. Das viele Reden musste ihn wirklich Überwindung kosten. Janek zwinkerte ihr mit einem tapferen Lächeln zu.
So rollte die Kutsche in Richtung Norden durch das Land, vorbei an den Gehöften armer Bauern, durch kleine Städte und Dörfer mit meist fensterlosen Hütten. Kinder, die in zerlumpter Kleidung Gänse hüteten, blickten mit großen Augen dem Gefährt mit den beiden Männern und der Frau mit dem Jungen hinterher. Besonders Lump, der seinen massigen Kopf über den Kutschenrand hielt und alles aufmerksam beobachtete, erregte Aufsehen bei der Bevölkerung. Dann wieder ging es stundenlang durch schier endlos scheinende Tannenwälder, die schließlich – je weiter sie in den Norden kamen – von Birken- und Ulmenwäldern abgelöst wurden. Außerhalb der Ortschaften blieb ihnen nichts anderes übrig, als im Freien zu übernachten, doch die Königin hatte sie großzügig mit Proviant und warmen Decken versorgt.
Das leise Seufzen der Wälder und das Knacken morscher Äste in den ansonsten so stillen Nächten machten Cristin
Weitere Kostenlose Bücher