Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)
und eine eng anliegende Hose, die seine Figur gut zur Geltung brachte. Lynhard, wie immer elegant gekleidet, stand mit Mechthild bei ihm, doch neben ihrem Mann erschien sie farblos wie ein trister Novemberabend. Mechthilds Augen leuchteten trotzdem, wenn Lynhard sie ansah oder ihr zuzwinkerte. Cristin konnte nicht umhin, erneut festzustellen, dass die beiden nebeneinander wie Feuer und Wasser wirkten. Mechthild tat ihr so manches Mal leid, aber ihre Schwägerin hatte es nicht anders gewollt und damals bei den Eltern durchgesetzt, den gut aussehenden Lynhard ehelichen zu dürfen. Cristin wandte ihre Aufmerksamkeit wieder ihrem Gatten zu, als ihr Schwager ihr in den Weg trat und sich vor ihr verbeugte.
»Du siehst umwerfend aus. Hat dir das heute schon jemand gesagt, Schwägerin?«
»Soweit ich weiß jeder hier im Raum, Bruder«, konterte Lukas.
Irrte sie sich, oder klang seine Stimme gereizt? Vor drei Tagen war Lynhard in der Goldspinnerei aufgetaucht – angetrunken. Vermutlich hatte er Lukas wieder einmal um Geld fragen wollen. Doch der hatte seinen Bruder mit ungewöhnlich scharfen Worten abgewiesen. Lynhard schenkte ihr ein breites Lächeln, und Cristins Ohren glühten. Sie ärgerte sich über diese lästige Eigenart, die jede ihrer Gemütsbewegungen offenbarte. In diesem Moment betrat Mirke den Saal. Cristin nutzte die Gelegenheit, entschuldigte sich bei den Männern und ging der jungen Spinnerin entgegen.
»Solltest du nicht bei Elisabeth sein?«, fragte sie.
»Minna löst mich ab.«
Cristin zog eine Braue hoch. »Ein feines Gewand trägst du.«
»Euer Gemahl hat uns allen neue Kleider geschenkt. Das war wirklich sehr großzügig von ihm. Steht es mir?« Mirke drehte sich im Kreis, sodass sich der lange Rock bauschte.
Cristins Blick ruhte kurz auf den Hüften der jungen Frau, die ein schmaler, lose aufliegender Ledergürtel zierte. »Ja, du siehst hübsch aus.« Vielleicht ein wenig kokett für dein Alter, dachte sie. Sie wandte sich von Mirke ab und trank einen Schluck.
»Wollen wir ein wenig spazieren gehen?« Lukas’ zärtliche Stimme in ihrem Nacken riss sie aus ihren Gedanken. Sie drehte sich um und musterte die Gäste und deren fröhliches Treiben. »Aber Lukas! Wir können doch nicht einfach …«
Lukas lachte. Die Falten um seine Augen vertieften sich. »Ach was«, wischte er ihre Bedenken beiseite. »Wenigstens für einige Minuten möchte ich mit meiner Frau allein sein.« Er bot ihr seinen Arm, und gemeinsam schlängelten sie sich bis zum Ausgang.
Lukas legte Cristin seinen Umhang um die Schultern und führte sie hinaus in den Hinterhof. Der Nachthimmel war klar. Eine leichte Brise strich ihr kühlend über das Gesicht. Cristin lehnte sich gegen ihn, als er sie wortlos in die Arme zog. Seine ruhigen Atemzüge und die Wärme, die er ausstrahlte, ließen sie die Augen schließen. Der Duft gebratenen Fleisches drang ihr an die Nase.
»Wir sollten nicht zu lange fortbleiben, das Essen wird gleich aufgetischt«, sagte sie.
Lukas hob ihr Kinn und strich mit seinem Daumen über ihre Wange. Dann beugte er sich zu ihr herunter und verschloss ihren Mund mit seinen Lippen. Cristin schlang die Arme um seine Taille und stöhnte leise, als er den Kuss vertiefte. Sie wollte sich von ihm freimachen, ihn daran erinnern, dass in ihrem Haus Gäste auf sie warteten. Doch die Versuchung war allzu groß, sich für einige Momente dem Glücksgefühl an seiner Brust hinzugeben. Er ließ seinen Mund über ihren Hals wandern und strich ihr über den Rücken.
Sie kicherte. »Liebling, halt ein. Du kannst nicht wollen, dass man uns hier so zusammen sieht.«
»Sollen sie ruhig alle verschwinden«, murmelte er an ihrem Ohr. »Damit ich mit meiner Frau allein sein kann.« Lukas lachte, hielt sie ein Stück von sich weg und sah sie an. Seine Stimme wurde rau. »Ja, du hast recht, Cristin. Das schickt sich wirklich nicht.« Er senkte seine Augen in ihre. »Aber wenn sie alle gegangen sind …«
Sie gab ihm einen Kuss auf die Nasenspitze, nahm seine Hand und zog ihn lachend mit sich ins Innere des Hauses.
Lange Zeit hatte es im Hause Bremer kein derartiges Festmahl mehr gegeben. Die vielen Kerzen zauberten einen weichen Schein auf die Gesichter der Gäste, die sich ausnahmslos gut amüsierten. Die Becher wurden nachgefüllt, noch ehe sie leer waren, und der Tisch quoll über vor Köstlichkeiten. Der Schalmeyspieler wurde an den Tisch gerufen und tat sich an den erlesenen Speisen – gebratenen Hühnchen, sauer
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