Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)
etwas zur Stärkung hier.«
Cristin bedankte sich und brachte Küppers hinaus.
Endlich ging es Lukas besser. Morgen wollte er wieder in die Werkstatt hinübergehen, hatte er ihr beim Frühstück gesagt, das sie im Schlafzimmer eingenommen hatten. Cristin summte ein Lied, während sie über den Marktplatz schritt, um frisches Gemüse zu besorgen. So früh am Morgen war nur wenig Betrieb, doch der herrlich blaue Himmel und die ersten Sonnenstrahlen hatten sie aus dem Haus gelockt. Die klare Luft vertrieb den letzten Rest Müdigkeit aus ihrem Leib. Sie kaufte Kohl und Rüben sowie an einem Bäckerstand zwei Laib Brot und machte sich auf den Heimweg. In der vergangenen Nacht hatten sie sich lange und zärtlich geliebt und waren erst eingeschlafen, lange nachdem der Nachtwächter die letzte Stunde des Tages verkündet hatte. Mit einem Lächeln auf den Lippen und dem prall gefüllten Korb auf dem Arm betrat sie die Spinnerei und ging die Treppe hinauf in ihre Privaträume.
Elisabeth schlief noch friedlich, und Lukas verließ gerade die Schlafkammer. Nach einem innigen Kuss machte er sich auf den Weg zum Zählraum. Cristin sah ihm nach. Davon, dass er noch vor Kurzem schwach und gebrechlich in den Kissen gelegen hatte, war kaum noch etwas zu spüren. Andächtig betrachtete sie die rosige Haut und den kleinen, feuchten Mund ihrer Tochter. Sie war ordentlich gewachsen, und ihr Bettchen wurde allmählich zu klein. Cristin nahm die Handspindel vom Tisch. Elisabeth sollte ein neues Kleidchen bekommen. Die Zeit verstrich, während sie den Atemzügen des Kindes lauschte.
»Frau Bremer, Frau Bremer! Kommt schnell!« Die Tür flog auf, und Johannes streckte den Kopf hinein. »Der Herr …« Er brach ab.
Sie erstarrte in der Bewegung.
»Kommt mit, Frau Bremer! Rasch!« Johannes zerrte an ihren Armen und zog sie mit sich die Treppe hinunter.
Cristin folgte ihm.
Lukas lag in der Tür zum Zählraum. Mit seinen geschlossenen Lidern und den verkrampften Fingern sah er aus, als hätte der Tod ihn ohne Vorwarnung mit einem Schlag zu Boden gestreckt.
»Oh mein Gott«, entfuhr es ihr. »Bitte nicht!« Sie warf sich neben ihm auf die Knie und strich ihm über die Wangen. »Lukas, Liebling. Kannst du mich hören?« Einen Moment lang betrachtete sie sein stilles, wie im Schmerz verzogenes Gesicht. »Lukas! So sprich doch!«, brach es aus ihr hervor, diesmal schriller. Aber sie suchte vergeblich nach dem Anflug einer Regung. Das Ohr an seine Brust gepresst, lauschte sie angestrengt. Er atmete, wenn auch nur flach. Erleichtert ließ Cristin den Kopf für einen Moment an seine Brust sinken und verharrte, dann tastete sie seinen Körper ab. Außer einem etwas angeschwollenen Leib konnte sie nichts Ungewöhnliches feststellen.
Mittlerweile hatten sich alle um den Geschäftsmann versammelt, auch zwei Kunden der Spinnerei standen in der Nähe und flüsterten miteinander. Da war eine Stimme, die mit ruhigen Worten Befehle erteilte. Eine Hand ruhte auf ihrer Schulter, doch Cristin ignorierte sie. Warum nur wachte Lukas nicht auf? Vorsichtig klopfte sie ihm auf die Wangen, sprach ihn an und rief seinen Namen. Vergeblich.
»Der Medicus ist verhindert, aber ein Bader ist unterwegs, Frau Bremer.« Minna stand hinter ihr. »Seht nur.«
Cristin nickte. Lukas’ Lider flatterten, und ihr Herz machte einen Satz. »Hörst du mich, Liebling?«
Er murmelte etwas Unverständliches, hob plötzlich beide Hände und fuchtelte wild in der Luft herum, als wollte er sich eines unsichtbaren Feindes erwehren. Furcht griff nach Cristin und legte sich wie ein Ring um ihr Herz.
»Wir müssen den Herrn nach oben bringen, Frau Bremer«, hörte sie Minna wie von ferne sagen.
Die Haustür wurde aufgestoßen. »Macht Platz!« Lynhards Stimme hallte durch den Raum. »Was ist denn hier …?«
Cristin hob nicht den Kopf. Minna redete leise auf den Schwager ein und beschrieb ihm die Lage.
»Ich bringe ihn hoch.« Lynhard umfasste sanft ihr Gesicht. »Ich werde mich um alles kümmern. Keine Sorge, Cristin. Alles wird gut.«
Sie nickte. Lynhard und einer der Kunden trugen Lukas hinauf. Wie betäubt sah sie ihnen nach.
»Herrin, ich …«
Cristin schüttelte die Hand ab, die sich unbeholfen auf ihre legte. »Ich muss … ich muss zu ihm.«
»Ja, ich weiß«, erwiderte Mirke stockend, »ich kümmere mich um Euer Töchterchen. Hört Ihr, wie die Kleine schreit? Sie wird Hunger haben.«
Indem sie wie von selbst einen Fuß vor den anderen setzte, begab Cristin sich
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