Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)
ihn frösteln. Gemeinsam liefen sie zurück in Richtung Stadt und kämpften sich durch den anschwellenden Sturm.
Unschlüssig blieb Baldo vor der Tür seines Freundes stehen. Er blickte auf den Hund hinab, der mit eingezogenem Schwanz neben ihm stand, und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Tropfnass, wie sie waren, sahen sie wirklich erbarmungswürdig aus.
Frau Mumme, die Hausherrin, steckte ihre Nase durch die Tür. »Wer ist da?«
Er räusperte sich. »Ich bin’s, Baldo.«
Die Tür wurde weit geöffnet. »Was ist das denn? Wo …«
Baldo wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, da winkte sie ab. »Komm erst mal rein, mein Junge. Ich hole Tücher.«
Als Baldo die Haustür wieder hinter sich schloss, war ihm leichter zumute. Der Regen hatte nachgelassen, und seine Kleider waren beinahe trocken. Hans war nicht zu Hause gewesen, doch seine Mutter hatte ihn und den Hund in ihrer resoluten Art in die Küche gebeten und Baldo warmen Würzwein sowie frischgebackenes Brot vorgesetzt. Allerdings nicht ohne ihn misstrauisch zu beäugen, während sie ihn aufforderte, die Kleider auszuziehen, damit sie über der offenen Feuerstelle trocknen konnten. Der Hund lag währenddessen zu seinen Füßen und rührte sich nicht von der Stelle. In eine Decke gewickelt, erzählte Baldo Frau Mumme schließlich die ganze Geschichte. Nur das Gespräch, das er belauscht hatte, ließ er aus.
»Gut, Junge«, sagte sie, als er geendet hatte. »Du kannst ihn hier lassen. Aber nur ein paar Tage. Ich komm in Teufels Küche, wenn mein Mann das herausfindet.«
Baldo versprach, den Hund bald abzuholen.
12
M oin, Frau Bremer«, rief Minna gut gelaunt aus, ohne ihre Arbeit am Spinnrad zu unterbrechen. Cristin erwiderte das Lächeln ihrer Lohnarbeiterin, während sie mit Elisabeth auf dem Arm die Treppe hinunterging. Die vertrauten Geräusche der Spinnerei hüllten sie ein, der Geruch von Schafwolle hing in der Luft, und Mirke und Johannes sangen ein Lied bei der Arbeit.
»Guten Morgen. Ihr kommt zurecht, wie ich sehe?« Cristin zog ein gequältes Gesicht, denn Johannes war wahrlich ein fleißiger Geselle, aber so unmusikalisch, dass es in den Ohren schmerzte.
»Wir kommen gut voran, Frau Bremer. Die Altardecke für St. Marien wird noch diese Woche fertig. Wie niedlich Eure Tochter ist. Darf ich sie mal halten?« Mirke wischte die Hände an ihrem Gewand ab und streckte die Arme nach Elisabeth aus.
Cristin gab ihr das Kind. »Sehr schön.« Sie begutachtete die Altardecke sorgfältig. Alles musste einwandfrei sein, denn ihre Goldspinnerei war die beste der Stadt und sollte es auch bleiben.
»Ich sehe, ich kann mich auf euch verlassen. Minna, wo ist mein Mann?«
»Im Zählraum, Herrin. Wie meistens.«
Sie nahm Elisabeth entgegen, ging die wenigen Schritte, klopfte an die Tür und trat ein. »Guten Morgen, Lukas. Ich hoffe, ich störe dich nicht?«
Ihr Gemahl, eben noch versunken, hob den Kopf. Aus seinen Augen strahlte Wärme. »Wie könnten meine beiden wunderschönen Frauen mich jemals stören?« Er zog sie in die Arme und drückte erst Cristin und dann dem Säugling einen Kuss auf die Stirn. »Du siehst wohl aus.«
»Mir geht es gut, Liebling. Deshalb bin ich hier.« In Erwartung des kommenden Donnerwetters schmiegte sie sich an ihn und bedachte ihn mit jenem unschuldigen Gesichtsausdruck, von dem sie wusste, dass er selten seine Wirkung verfehlte. »Wir können den Hochzeitsstaat für die Büttenwarts nicht fertigstellen.«
Lukas gab sie frei. »Wieso nicht?«
»Es fehlen die bestellten Stickereien für Kragen und Ärmel. Minna ist eine gute Weberin und Spinnerin, auch Mirke tut ihr Bestes, aber …« Cristin tätschelte Elisabeth, die leise zu weinen begann.
»Was willst du mir damit sagen?«
Er wusste es genau, das konnte sie deutlich an der Falte zwischen seinen Augen ablesen. »Lass mich wenigstens diese Arbeiten erledigen, Lieber.« Sie strich ihm über die Brust. »Schließlich sollen die Gewänder besonders prächtig werden, oder?«
»Wie stellst du dir das vor? Noch vor Kurzem hatte ich Angst um dein Leben. Zum Arbeiten ist es viel zu früh. Du brauchst noch Ruhe.«
»Ruhe.« Cristin verdrehte leicht die Augen. »Ach Lukas, davon habe ich mehr, als ich aushalten kann. Elisabeth schläft viel. Soll ich ihr dabei zusehen?«
»Und wer kümmert sich um die Kleine, wenn du stickst?«, unterbrach er sie barsch.
Sie reckte den Hals. »Ich nehme sie mit, Lukas. So wie jede andere Frau es auch tut, wenn sie
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