Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)
Brot, Honig, Butter und Hafergrütze.« Cristin sah zu, wie der Medicus Lukas’ Leib abtastete. »Sein Bauch ist angeschwollen, und seine Haut … er ist so bleich.«
Mit zusammengezogenen Brauen wendete Küppers sich nach ihr um. »Möglicherweise könnt Ihr mir sagen, was Eurem Gatten fehlt, Frau Bremer?«, entgegnete er mit vor Hohn triefender Stimme.
»Es tut mir leid. Ich mache mir große Sorgen. Bitte verzeiht meine Einmischung«, beeilte Cristin sich zu antworten.
»Herr Bremer, könnt Ihr mich hören?« Küppers schüttelte den Patienten leicht, bis dieser zu sich kam und von einem zum anderen sah.
»Mutter«, flüsterte er und griff ins Leere, als wollte er jemanden umarmen. Ein Lächeln erschien auf seinem Antlitz.
Die Hände vor den Mund gepresst, saß Cristin wie vom Donner gerührt da. Eisige Kälte schlich sich in sie. Lukas’ Mutter war schon seit vielen Jahren tot.
»Er hat Fieber. Sein Körper wehrt sich vermutlich gegen giftige Säfte.« Küppers kratzte sich am Nacken. »Die Handinnenflächen sind verfärbt, außerdem hat sich in seinem Leib Wasser angesammelt. Zum Schröpfen ist es wohl zu spät«, sagte er wie zu sich selbst. »Ich muss ihn zur Ader lassen, Frau Bremer.«
Sie riss die Augen auf. »Aderlass? Aber …«
Sein Ton wurde schroffer. »Wisst Ihr etwas Wirksameres?«
Cristin rang die Hände und ließ sie sinken. »Bitte, nur tut endlich etwas!«
»Geht nur einen Moment hinaus an die frische Luft. Ich möchte Euch nicht auch noch behandeln müssen, so wie Ihr ausschaut«, erwiderte der Medicus versöhnlicher.
Cristin seufzte. »Gut. Aber nur einen Augenblick.« Sie schwankte, als sie auf die Tür zusteuerte, und fiel beinahe Johannes in die Arme.
»Wie geht es unserem Herren? Er wird doch rasch wieder gesund?«
»Wenn ich das wüsste, Johannes.«
Kräftige Hände schoben sie in den Zählraum, drückten sie auf Lukas’ Stuhl und legten ihr eine Decke um. »So, jetzt wird etwas gegessen, Frau Bremer. Keine Widerrede! Danach machen wir einen kleinen Spaziergang«, hörte sie Minnas Stimme an ihrem Ohr. »Ihr seid weiß wie Kalk.« Die Lohnarbeiterin sprach energisch wie immer, aber das Zittern der alten Hände blieb auch Cristin nicht verborgen. »Mirke ist bei Elisabeth. Die Kleine schläft wie ein Engel.«
Die Erwähnung der Tochter reichte, um Milch in ihre Brüste schießen zu lassen. »Ich muss zu ihr …« Cristin erhob sich, doch Minna schüttelte den Kopf.
»Später, Frau Bremer.« Die Ältere gab Johannes Anweisungen, das Feuer in der Schlafkammer neu zu schüren, und schickte den Jungen hinaus. »Hier, Herrin. Esst.« Ein dampfender Teller wurde vor ihr abgestellt. »Ihr werdet Kraft brauchen.«
Sie tunkte den Löffel in die heiße Flüssigkeit, führte ihn zum Mund und schluckte, ohne etwas schmecken zu können. Ein Kanten Brot wurde ihr in die Hand gedrückt, und sie biss hinein.
»So ist es recht. Schön aufessen. Glaubt mir, der Herr wird wieder. Er ist stark, Frau Bremer.«
Eine Gänsehaut kroch über ihren Nacken. Im Raum war es auf einmal so kalt. Kalt und dunkel. Was geschah hier? Eine Talglampe wurde entzündet und warf einen schwachen Lichtschein auf den Schreibtisch vor ihr, der mit Lukas’ Gerätschaften übersät war. Ihr Puls raste, in ihren Fingern begann es zu kribbeln. Dann ging ein Ruck durch ihren Körper.
»Ich muss zu Lukas!« Sie hastete aus der Kammer. Beeil dich, flüsterte es in ihr. Jeweils zwei Stufen auf einmal nehmend, erklomm sie die Treppe und stieß die Tür zum Schlafraum auf. Wie angewurzelt blieb sie stehen.
Küppers beugte sich über ihren Gatten, um das Messer an Lukas’ Unterarm anzusetzen.
»Haltet ein!« Ihre Stimme hallte durch die Stille.
Der Medicus hob den Kopf. Auf seiner Stirn bildete sich eine Unmutsfalte.
»Hört sofort auf!«
»Was soll das bedeuten, Frau Bremer?«
Das Blut rauschte in ihren Ohren. »Ihr werdet auf der Stelle gehen!«
Küppers baute sich kerzengerade vor ihr auf. »Wisst Ihr, was Ihr da verlangt?«
»Hinaus!« Cristin wusste nicht, woher sie die Kraft nahm, auf diese Weise mit ihm zu sprechen. »Schluss damit! Ihr werdet meinen Mann nicht zur Ader lassen.«
»Ihr seid ja von Sinnen!«
Als sich die Tür hinter dem Medicus schloss, konnte sie wieder freier atmen. Lukas war nur noch ein Schatten seiner selbst. Seine Augen lagen tief in den Höhlen, und die von feinen Äderchen durchzogene Haut schimmerte wie Pergament. Woher die Gewissheit gekommen war, dass er einen Aderlass nicht
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