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Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerit Bertram
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ihren kahlen Schädel verhüllte. Mit einem Ächzen erhob sie sich, betrachtete den Verletzten noch einmal und machte sich auf den Weg.
    Die Zeit verstrich. Cristin wurde zunehmend unruhig, während sie gegen einen Baum lehnte und den Betrieb auf dem Sandweg beobachtete. Sie hatte unter einer Buche Schutz gesucht. Der Baum spendete ihr Schatten und schützte sie vor den Blicken der Waldarbeiter, die dort von Zeit zu Zeit vorbeikamen. Ansonsten waren nur wenige Handelsreisende mit ihren Eseln oder Pferden unterwegs, die sie sich nicht getraute anzusprechen. Lange würde sie nicht mehr bleiben können, ohne nach Baldo zu sehen, denn bald würde es dunkel sein. Wilde Tiere würden kommen, um sich an dem Kadaver der toten Wildsau zu schaffen zu machen. Meine Güte. Wenn ich niemanden finde, der mir weiterhelfen kann, wird er vermutlich sterben, ging es ihr durch den Kopf. Sie war nur froh, dass allem Anschein nach kein großes Blutgefäß verletzt worden war.
    Ein Geräusch ließ sie aus ihren Gedanken hochschrecken. Eine ältere Frau näherte sich. Auf dem Rücken trug sie einen augenscheinlich schweren Sack, denn sie prustete, blieb stehen und legte ihn ab. Ohne zu zaudern, ging Cristin ihr entgegen.
    »Gott zum Gruße. Kannst du mir helfen?«
    Die Alte hob den Kopf, riss die Augen auf und erbleichte. Sie wollte zurückweichen, doch Cristin hielt sie am Arm fest.
    »Wer bist du? Was willst du von mir, Weib?«, entfuhr es der Fremden, die versuchte sich loszureißen.
    »Ich weiß, ich sehe schrecklich aus, gute Frau. Aber ich bitte nicht meinetwegen. Hier ganz in der Nähe liegt ein Mann, ein Schwerverletzter. Er braucht Hilfe, sonst …« Nur ihr Stolz hielt Cristin davon ab, mitten auf dem Weg vor der Frau auf die Knie zu fallen.
    Die Alte nickte bedächtig. »Ich verstehe.« Sie verengte die Augen, offensichtlich hatte ihre Sehkraft nachgelassen. »Was ist passiert?«
    »Ein Wildschwein hat ihn schwer verletzt. Der Mann stirbt, wenn er keine Hilfe bekommt.«
    »So.« Die Ältere kratzte sich an der Nase und räusperte sich. »Ich bin nur ein Marktweib. Vom Heilen verstehe ich nichts. Aber ich meine, auf dem Marktplatz hätte jemand von Ludewig gesprochen. Der soll in der Stadt sein.«
    Cristin atmete tief ein. »Ludewig?«
    »Ein Bader aus dem Süden, der auf dem Weg zurück nach Hamburg sein soll.«
    Ihr Herz machte einen Satz. »Wie lange ist es her, seit er gesehen wurde?«
    Die Alte zuckte mit den Schultern. »Das muss mittags gewesen sein. Ich hörte ihn sagen, dass er noch zu einer kleinen Patientin außerhalb der Stadt wollte. Da war ich gerade am Zusammenpacken.« Das Marktweib rieb sich erneut über die Nase. »Ich weiß ja nicht, welchen Weg er mit seinem Karren nimmt. Meist fährt er die große Straße weiter nach Hamburg, kennst du sie?« Sie wies in westliche Richtung. »Dort drüben, keine hundert Schritt von hier. Aber ich weiß natürlich nicht, wann er aufbricht. Musst es eben versuchen.«
    »Danke. Ich danke dir vielmals.« Cristins Stimme klang belegt. Sie drückte die knochigen Hände und wollte sich abwenden.
    »Hast du getan, wessen du beschuldigt wurdest, Mädel?«
    Cristin hielt inne, unfähig sich zu rühren, und schluckte den Kloß hinunter, der sich in ihrer Kehle bildete. »Nein, das habe ich nicht.«
    Ihre Blicke trafen sich. Ein helles Augenpaar senkte sich in ihres, schien bis in ihr Innerstes zu schauen. Dann nickte die Frau abermals. »Gott schütze dich. Ich habe dich nie gesehen.«
    »Warte.« Cristin hielt sie am Ärmel fest und schluckte. »Was weißt du von mir?«
    Die Alte lächelte milde. »Auf dem Markt wurde geredet. Dort wird jede Menge getratscht.« Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. »Eine Fischhändlerin erzählte, angeblich sei eine Verurteilte aus ihrem Grab verschwunden. Jemand soll sie ausgegraben und fortgeschafft haben.« Sie wiegte den Kopf hin und her und lächelte dünn. »Ich hab ihr natürlich nicht geglaubt. Die Geschichte ist zu … zu weit hergeholt, dachte ich. Wer hätte jemals so etwas gehört?« Während sie Cristins schmutziges Kleid musterte, wurde ihre Stimme nachdenklich. »Aber als ich dich hier gesehen habe, hab ich überlegt, ob nicht doch ein Körnchen Wahrheit dran sein könnte.«
    Cristin fühlte ihre Hände feucht werden. »Hast du sonst noch was gehört?«
    »Des Henkers Sohn, sein Gehilfe, soll auch verschwunden sein, sagt man.« Die Marktfrau blinzelte in der Sonne, und die Falten um ihren Mund vertieften sich. »Sei auf der Hut,

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