Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)
Mädel.« Sie tätschelte Cristins Arm und rümpfte die Nase. »Und wasch dich.« Dann nahm sie ihr Bündel wieder auf den Rücken und ging schleppenden Schrittes weiter, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Die Hände auf ihr hämmerndes Herz gepresst, beobachtete Cristin, wie die Frau sich entfernte. Die Alte wusste, wer sie war! Dann suchte man sie also bereits. Und nicht nur sie, auch Baldo. Ja, den Schutz Gottes hatten sie bitter nötig, wenn sie nicht demnächst wieder vor Vogt Büttenwart und Fiskal Mangel stehen wollten. Cristin straffte die Schultern. Sie musste diesen Bader finden.
Teil 2
1
G egen die Rückwand des Eselkarrens gelehnt, warf Cristin einen dankbaren Blick auf die breiten Schultern des Mannes, der Baldo und sie mitgenommen hatte. Mit Schaudern dachte sie an die vergangenen Stunden, in denen sie voller Furcht und Ungewissheit gewesen war, ob der Bader tatsächlich die Straße, von der die Alte gesprochen hatte, passieren würde. Als er dann endlich kam, hatte er nicht viele Worte gemacht, sie nur vielsagend gemustert und ein Bündel aus dem Karren gehievt, um sofort gemeinsam mit ihr nach dem Verletzten zu schauen. Auf dem Weg zurück in den Wald ermunterte er sie, ihm zu erzählen, was sie von dem Angriff des Wildschweins und Baldos Verletzungen wusste. Stockend berichtete sie, wie die Verwundungen aussahen, und von seiner anhaltenden Bewusstlosigkeit. Der große, stämmige Mann mit der hohen Stirn und der dröhnenden Stimme nickte unterdessen und stellte weitere Fragen, etwa wann der Unfall wohl geschehen war und ob der Verletzte stark geblutet hatte. Cristin beantwortete alles wahrheitsgetreu – nur dass sie die Hände auf Baldo gelegt hatte, verschwieg sie wohlweislich.
Als sie Baldo endlich erreichten, lag er nach wie vor still da, der Hund hielt neben ihm Wache. Sie ging zu ihm hin, lobte und beruhigte ihn.
Mit geübten Händen tastete der Bader den Verletzten ab, fühlte seinen Puls und hob sein Augenlid. »Der Mann ist schwer verletzt. Er braucht einen Wundarzt, Weib. Er muss genäht werden. Ich bin nur Bader und kann nicht viel für ihn tun.«
»Aber Herr!«, stammelte sie. »Bitte! Ihr müsst tun, was Ihr könnt. Wo soll ich denn so schnell einen Wundarzt finden?« Sie rang die Hände. »Ihr seid meine einzige Hoffnung!«
»Wie heißt du?«
»Äh … Agnes, mein Herr. Ich bin Agnes«, log sie und wischte sich so unauffällig wie möglich die schwitzenden Hände an ihrem Kleid ab. »Und das … das ist Adam, … mein Bruder.«
»Ludewig Stienberg.« Er hatte den Kopf schief gelegt.
Das Blut schoss ihr in die Wangen, doch seiner Musterung konnte sie nicht ausweichen.
»Du hast ihn gut versorgt. Bist du des Heilens kundig?«
»Nein.«
»Nun gut«, brummte er nach kurzem Zögern. »Du musst mir helfen, den Verletzten in den Karren zu bringen. Bis Hamburg ist es noch weit. Mindestens acht Meilen, schätze ich.«
Hamburg.
Nun saß sie also mit Baldo, eingewickelt in saubere Leinentücher, in Stienbergs Karren und freute sich über jede Meile, die sie sich von Lübeck fortbewegten. Es war Cristin gleich, ob der Boden hart und die Wege holperig waren. Hauptsache, sie entfernten sich von diesem verwunschenen Wald und von der Stadt, die ihren Tod gewollt hatte. Der Hund machte es sich auf ihrem Schoß bequem und legte seinen Kopf in ihre Armbeuge. Seine Nähe war tröstlich. Ludewig Stienberg schwieg während der Fahrt, daher blieb ihr genügend Zeit, eine glaubhafte Geschichte zu erfinden. Ihr würde schon etwas einfallen. Wenn er Baldo nur wieder gesund machen kann!, dachte sie besorgt und strich dem Hund über die Schlappohren. Auch er wirkte erschöpft, hungrig und verängstigt. Doch das Ruckeln des Karrens, die fahle Abendsonne und das beruhigende Wissen, nicht mehr allein zu sein, bewirkten, dass sie sich allmählich entspannte.
Cristin schrak hoch. Der Karren bewegte sich nicht mehr. Sie hob den Kopf und horchte in die Stille, aber bis auf das leise Atmen der Tiere war nichts zu hören. Dunkel war es, kaum konnte sie die Hand vor den Augen erkennen. Wo waren sie? Dann erkannte sie Baldos Gestalt, den Hund neben sich und atmete auf. Schritte näherten sich.
»Wir sind da«, vernahm sie die Stimme des Baders. »Hier werden wir die Nacht verbringen.«
Cristin beugte sich vor, nahm den schlafenden Hund auf den Arm, hielt ihn fest an sich gepresst, obwohl er eigentlich zu schwer für sie war, und stieg mit steifen Gliedern aus dem Karren. Sie befanden sich vor
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