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Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerit Bertram
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an Baldos Seite zu und wiederholte den Vorgang.
    Obwohl die Beinwunde schlimmer aussah, schätzte Cristin die Verletzung seines Oberkörpers weitaus gefährlicher ein. Wer wusste schon, inwieweit sein Innerstes betroffen war? Sie sann nach. Womit sollte sie seine Wunden verschließen? Vage Erinnerungen drängten sich ihr auf. Hatte Mutter nicht damals ein Stück Baumrinde auf ihr vom Spielen aufgeschürftes Knie gelegt? Eine der jüngeren und unversehrten Eichen schien ihr am besten geeignet. Erneut nahm sie das Messer und löste einen handtellergroßen Streifen Rinde des Baumes ab. Danach entfernte sie die verschmutzten Blätter von seinen Wunden und legte frische zum Schutz an seine aufgerissene Seite, die Rinde tat sie auf den Oberschenkel. Er braucht einen Medicus oder wenigstens einen Bader, der sich um ihn kümmert, überlegte sie. Ein heiseres Lachen stieg in ihrer Kehle hoch, doch es war kaum mehr als ein schräger Ton, von dem sie selbst zusammenfuhr. Natürlich. Sie, eine zum Tode verurteilte und entflohene Verbrecherin, lief ins nächstgelegene Dorf, um nach einem Arzt zu schicken. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass sie nicht nur sich selbst, sondern auch Baldo damit verraten würde. Dennoch, es musste sein. Den Hund könnte sie als Wache bei dem Verletzten lassen. Sie hatte nur ihr Tuch, um zumindest den Kopf zu bedecken.
    Unschlüssig betrachtete sie sein regloses Gesicht. Obwohl er etwa in ihrem Alter sein mochte, waren die weichen Züge der Jugend noch nicht vollständig verschwunden. Die leicht gekrümmte Nase und die vollen Haare ließen erahnen, wie er in einigen Jahren aussehen könnte. Einem plötzlichen Bedürfnis folgend, streckte sie ihre Hand aus und strich ihm sanft über die Wange. Ihr war, als würde sie unvermittelt ein Schlag treffen, und ihre Finger kribbelten. Cristin starrte erst Baldo an und betrachtete dann ihre Hände. Ein Funken Hoffnung glomm in ihr auf. Es wäre möglich, ging ihr kurz durch den Kopf, ich muss es probieren.
    Cristin ließ beide Hände über ihm schweben, am Kopf beginnend und weiter abwärts, bis zu seinen Füßen. So als würde sie seine Silhouette nachzeichnen wollen, fuhr sie seine Gestalt entlang. Bisher hatte sie die Hände stets direkt auf den Körper des Betroffenen gelegt, mit offenen Wunden hatte sie noch nie zu tun gehabt. Sie schloss die Lider und wendete sich nach innen, während ihre Finger tastend über Baldos Leib wanderten. Weder das Rauschen der Bäume im Wind noch die Sonne, die ihre Strahlen zwischen das frische Blattwerk warf, konnten zu ihr durchdringen. In ihr wurde es still. Sie spürte den Moment, in dem diese geheimnisvolle Verbindung entstand, die sie seit Kindertagen kannte.
    Vor ihrem geistigen Auge sah sie Baldos Körper unter sich liegen. In seinem Inneren begannen sich Farben zu bilden, manche ruhig und sanft, andere wild und tosend wie das Meer. Dort verharrte sie, bis ein grausamer Schmerz sie unverhofft überfiel. Cristin verzog gequält das Gesicht, als seine Empfindungen auf einmal zu ihren wurden. Hitze schien sich durch seinen Leib zu fressen, wollte sich an seinen Wunden gütlich tun. Wie von selbst fanden ihre Finger die betroffenen Stellen und blieben in der Luft stehen. Sie besann sich auf ihren Atem, und als er langsam ruhiger wurde, lenkte sie ihre Aufmerksamkeit auf die Handinnenflächen. Herr im Himmel, hilf mir! Die Hitze muss weichen! Sie wartete. Endlich fühlte sie das vertraute Kribbeln ihrer Finger, als die Glut nach und nach aus seinem Inneren gezogen wurde, bis am Ende nichts mehr davon übrig blieb.
    Sie blinzelte, und es dauerte eine Weile, bis die Eindrücke ihrer Umgebung wieder in ihr Bewusstsein drangen. Äußerlich hatte sich nichts verändert. Sie saß immer noch neben Baldo, der inzwischen schlafende Hund neben ihr. Die Sonne stand hoch am Himmel, es musste Mittagszeit sein. Erschöpft sank sie ins warme Gras. Sie hatte getan, was sie konnte, nun blieb ihr nur die Hoffnung. Cristin schüttelte ihre Hände aus, sie hatten zu viel Leid und Schmerz empfunden. Aus dem Wassersack goss sie die letzten Tropfen über die Hände, um sie von den bösen Geistern, die in Baldos Körper wüteten, zu reinigen. Sie schaute an sich hinunter. Tierhaare, Blut und Schweißflecken »zierten« das viel zu kurze Kleid, Schienbeine und Waden waren zerkratzt und mit Dreck verschmiert. Seit Tagen, ja Wochen, hatte sie sich nur flüchtig waschen können. Mit der flachen Hand fuhr sie über das Kopftuch, das nur knapp

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