Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)
immer mysteriöser für ihn. Und was machte Agnes? Das Weibsbild blieb stumm wie ein Fisch!
Sie blickte zum Fenster. Beide schwiegen.
Dann bat Adam ein wenig gefasster: »Beantworte mir wenigstens eine Frage.«
»Welche denn?«
»Warum trägst du tagein, tagaus dieses Kopftuch?«
Er sah, wie sie zusammenzuckte, und ließ seine Augen über ihre Gestalt wandern. Sicher hatte sie wunderschöne Haare. Er wies auf ihr stramm gebundenes Kopftuch, aus dem nicht ein Härchen hinauslugte. »Das muss doch furchtbar unbequem sein!« Schon hatte er die Hand ausgestreckt, fasste nach dem dünnen Stoff. Cristin wollte zurückweichen, aber er hatte das Tuch bereits nach hinten geschoben. Ihr Schädel war von dünnem rotblondem Flaum bedeckt wie der Kopf eines Neugeborenen. Dunkle, feuchte Erde. Eine Grube. Der winzige, bruchstückhafte Teil einer Erinnerung schoss ihm durch den Kopf, verschwand jedoch genauso schnell wieder, wie er aufgetaucht war. »Was … was ist geschehen?«, fragte er leise. »Du … du warst in einer Grube, nicht wahr?«
Sie schlug die Augen nieder.
Mit beiden Händen umfasste er ihr Gesicht und zwang sie, ihn anzusehen. »Warum hat man dir das angetan? Sag es mir!«
Cristins Augen füllten sich mit Tränen, doch sie wehrte sich nicht gegen seine Berührung. »Ich möchte nicht …«
Sofort ergriff ihn wieder dieses Bedürfnis, allen Kummer, alle Traurigkeit aus dem hübschen Antlitz zu verbannen. Würde ihre Miene weich werden, wenn er über die schmalen Wangen strich? Würde sie sich an ihn schmiegen, wenn er sie in die Arme nahm? So wie Geschwister es taten, wenn sie sich gegenseitig Trost spendeten. Adam hob die Hand, verharrte einen Moment lang – und ließ sie wieder sinken. Seine Stimme wurde rau, klang aber sanfter als beabsichtigt. »Du willst nicht darüber reden, ich weiß. Kennst du eigentlich auch noch andere Antworten?«
Sie schwieg, er konnte aber erkennen, wie es in ihr arbeitete. Obwohl sich ihre Wangen röteten, klang sie fest und klar. »Adam, unser Vater hat mich einem Mann zur Frau gegeben, den ich nicht liebte und nicht wollte.«
Wie jämmerlich, dachte Cristin und spürte einen bitteren Geschmack im Mund. Ausgerechnet den einzigen Menschen, der in ihrer schwersten Zeit zu ihr gehalten und ihr blind vertraut hatte, musste sie hintergehen. Sie senkte den Kopf und strich sanft über Lumps Flanke, die sich gleichmäßig hob und senkte. Andererseits gebe ich ihm ein Leben zurück, sinnierte sie. Einen Namen, eine Familie, eine Geschichte. Auch wenn es nur eine Illusion ist. Nur, was geschieht, wenn er eines Tages die Wahrheit erfährt?
»Sprich weiter«, forderte er sie auf.
Mit trockener Kehle fuhr sie fort. »Ein Kaufmann aus Wismar, ein übler Kerl, der bereits einmal verheiratet war. Es heißt, er habe sein Weib immer wieder verprügelt, deshalb sei sie in die Trave gegangen.«
Baldos Augen weiteten sich, und er schnellte hoch. »Trotzdem hat unser Vater dich mit ihm …«
»Ja, er konnte wohl nicht glauben, was man sich hinter vorgehaltener Hand über diesen Mann erzählte.« Während sie zögernd weitersprach, spürte sie, wie ihre Ohren glühten. »Jedenfalls habe ich mich ihm in der Hochzeitsnacht verweigert. Er schlug mich, wollte sich mit Gewalt nehmen, was ich nicht zu geben bereit war. Da habe ich ihm einen Tonkrug auf den Kopf geschlagen.«
Es wurde still zwischen ihnen, und Cristin traute sich nicht, den Kopf zu heben. Lump stupste sie mit der Schnauze an, und sie streichelte ihm abwesend über den Kopf.
Baldo räusperte sich. »Zur Strafe hat man dir den Kopf geschoren?«
»Ja.« Sie schob sich wieder das Tuch über die kurzen Haare »Ich muss wohl froh sein, dass er mich nicht mit Ruten auspeitschen ließ.«
Adam lauschte ihren Schilderungen mit wachsendem Entsetzen. Er suchte nach Worten und wollte ihr so vieles sagen, ihr Fragen stellen, doch seine Scheu ließ es nicht zu, tiefer in sie zu dringen. Also fasste er nur nach ihrer Hand. Ihr Bericht hatte ihn aus dem Gleichgewicht und eine unbekannte Saite in ihm zum Klingen gebracht. Sanfte Wärme erfüllte ihn, als er ihre klammen Finger mit seinen umschloss. Ihre Hand passte perfekt in seine. Beinahe kam es ihm so vor, als wäre sie dafür gemacht, von ihm gehalten zu werden. Verstört über diesen Gedanken schüttelte er unmerklich den Kopf. Hirngespinste. Dennoch – wie schade, dass es so dunkel in der Kammer war! Gern hätte er ihre kleinen Hände genauer betrachtet. Er fühlte Wut in sich
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