Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)
schimpfte sie sich. Sie konnte nur hoffen, dass Ludewig nichts bemerkt hatte. Mit deinem vorlauten Mundwerk wirst du dir noch manchen Ärger einhandeln, hatte ihr Vater mehr als einmal geschimpft und missbilligend mit der Zunge geschnalzt, wenn ihr Mund wieder einmal schneller als ihr Verstand gewesen war. Das durfte nicht noch einmal passieren. Sie atmete tief durch und ging zum Karren hinüber, in dem der Hund schon ungeduldig auf sie wartete.
5
C ristin ließ ihr Gewand auf den Boden fallen und stieg in den bis zur Hälfte gefüllten Holzzuber, der fast den halben Raum ausfüllte. Sie atmete tief durch. Das lauwarme Wasser war eine Wohltat nach allem, was sie in den letzten Tagen und Wochen erlebt hatte. Sie setzte sich auf den Boden, lehnte sich an die glatt polierte Wand des Bottichs und ließ den Blick durch den Raum schweifen, an dessen Wänden Bänke angebracht waren, um die Gäste der Badestube zum Verweilen einzuladen. Ein Ofen stand in einer der Ecken, daneben befanden sich Bottiche mit heißem und kaltem Wasser, die es den Besuchern erlaubten, ein Schwitzbad zu nehmen. Der Bader hatte ihr erklärt, drei Tage die Woche wäre dies der Baderaum für Frauen, die anderen Tage hielten sich die Männer dort auf. Schließlich sei dies keiner dieser anrüchigen Orte, an denen man sich miteinander geradezu sündig vergnügte, hatte Ludewig ihr ernst versichert. Aber Cristin wusste, bei hohen Herrschaften, auch innerhalb von Familien, war das gemeinsame Baden trotz aller Sittenverordnungen immer noch sehr beliebt.
Sie schloss die Augen, und ihre verkrampften Muskeln lockerten sich. Endlich konnte sie das Tuch ablegen, das ihren kahl geschorenen Kopf vor neugierigen Blicken verbarg. Sie hängte es über den Rand des Zubers und tauchte ihren Schädel mehrmals unter Wasser. Als sie wieder auftauchte, schaute sie in die braunen Knopfaugen des Hundes, der sie mit schräg gelegtem Kopf fixierte. Cristin lächelte. »Du hast wohl noch nie eine nackte Frau gesehen, stimmt’s?«
Er bellte.
Sie lachte hell auf. »Dann gewöhne dich daran, Hund.«
Sie streckte die Hand aus, um ihn hinter den Ohren zu kraulen, so wie er es am liebsten hatte. Der Hovawart streckte sich neben ihr aus und tat, als schliefe er, doch Cristin fühlte seinen wachsamen Blick. Selig seufzte sie auf und genoss noch für eine Weile den Luxus eines Bades. Als das Wasser langsam abkühlte, erhob sie sich und wollte nach dem Leinentuch greifen, das sie neben dem Zuber an einen Haken gehängt hatte. In diesem Moment schnappte der Hund nach dem Tuch, bellte aufgeregt und lief mit seinem Fund ans Ende der Kammer, um sich in einer Ecke zusammenzurollen. Er öffnete ein Auge und blinzelte.
»Komm sofort her und gib mir das Tuch wieder, du kleiner Lump«, schimpfte sie und hatte Mühe, sich das Lachen zu verbeißen, das sie beim Anblick seines treuherzigen Augenaufschlages überfiel. »Nun komm schon«, forderte sie ihn dieses Mal versöhnlicher auf.
Gehorsam trottete er zu ihr hin und ließ das Tuch vor ihr fallen.
»Du Lump«, wiederholte sie kopfschüttelnd und strich ihm über das Fell. Beim Klang ihrer Worte spitzte er die Ohren. »Ah«, lächelte sie. »Der Name gefällt dir also. Dann will ich dich ab sofort auch so nennen.«
Für Cristin brach eine aufregende, wenn auch anstrengende Zeit an. Während Baldos Wunden langsam zu heilen begannen, ließ sie sich von Ludewig zeigen, wie die Haare der Männer geschnitten und ihre Bärte geschoren wurden. Auch bereitete sie die Bäder vor, half Stienberg beim Anmischen der verschiedenen Salben und Pasten und kümmerte sich in der wenigen Freizeit um Baldo, mit dem sie eine Kammer teilte. Er behandelte sie nach wie vor wie eine Fremde und schien sich an nichts zu erinnern. Dennoch, für sie beide war es besser, ihre Tarnung aufrechtzuerhalten, jedenfalls solange sie in Ludewigs Haus wohnten. Wenn sie abends auf ihre Lagerstatt sank und der Hund, der für sie nur noch Lump hieß, sich neben ihr ausstreckte, war sie rechtschaffen müde, denn die Badestube im unteren Stockwerk war stets gut besucht. Endlich hatte sie eine Aufgabe, die sie erfüllte. Dass Ludewig ihr immer öfter anerkennend zuzwinkerte, nahm sie mit stiller Freude zur Kenntnis.
Der Bader war ein Eigenbrötler, der sich nach dem Essen meistens in seine Kammer zurückzog. Nie stellte er Fragen über ihre Herkunft oder den Grund ihrer Reise. Hatte sie tagsüber gerade nichts zu tun, ging sie ihm beim Zähneziehen oder Aderlass zur
Weitere Kostenlose Bücher